Dienstag, 12. August 2008

Nicht immer ist fair drin, wo fair draufsteht

Das Geschäft mit Fair-Trade- und Bioprodukten wächst mit bis zu 50 Prozent pro Jahr. Das zieht auch Firmen an, die nicht ganz korrekt arbeiten.

Von Hannes Grassegger

Die Max-Havelaar-Bananen verstauen, den Hybridwagen starten, die Lippen mit tierversuchsfreier Schminke nachziehen und den Rock aus sozialverträglicher Produktion zurechtrücken, fertig ist der Lohas. Lohas - Lifestyle of Health and Sustainability - ist das Marketing-Kürzel für Konsumenten, die versuchen, gesund und nachhaltig einzukaufen, ohne dabei ihren Anspruch an Qualität zu senken.

Schätzungen, wie gross diese neu entdeckte Zielgruppe ist und wie viel Geld sie zur Verfügung hat, variieren je nach Land stark. Fest steht aber, dass sie auf immer mehr Konsumgütermärkten rege bedient wird. Ob Niedrigenergie-Laptops von Fujitsu, Hybridautos von Toyota oder Fair-Trade-Shirts von Coop - der Markt boomt. Vorbild sind die Biolebensmittel: Ihr Marktanteil liegt in der Schweiz bereits bei knapp 5, in Grossbritannien gar bei 7 Prozent.

Moral ist ein Markt

Laut dem Konsum Report Schweiz von ZKB, WWF und der Universität Zürich glauben 80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, dass die Verantwortung für die Lösung drängender Umweltprobleme bei ihnen selber liegt. Übersetzt auf das Kaufverhalten, erklärt dies auch die überproportionalen Zuwachsraten im Bio- und Fair-Trade-Sektor. 25 bis 55 Prozent Marktwachstum prognostiziert beispielsweise der Biobaumwollverband Organic Exchange weltweit für das Jahr 2008.

Dahinter steckt eine Verhaltensänderung: Der Konsument achtet beim Einkauf nicht nur auf Preis und Leistung, sondern zahlt für die Verringerung schädlicher Effekte seines Konsums. Das widerspricht den theoretischen Annahmen der klassischen Ökonomie. Der deutsche Volkswirt und Kulturwissenschaftler Nico Stehr wittert deshalb gar eine «Moralisierung der Märkte». Zunehmender, weiter verbreiteter Wohlstand und steigende Bildung seien Ursachen dieses tief greifenden sozialen Wandels.

Wenn der von mexikanischen Indiogemeinden produzierte Fair-Trade-Kaffee sich gegen qualitativ ähnliche, aber günstigere Konkurrenz im Supermarktregal behauptet, so sieht Stehr darin einen Beleg für seine Annahme, dass die materielle Rationalität der Ökonomie im Zeitalter des Überflusses zurücktritt.

Noch sind die Preisunterschiede von normalen zu fair produzierten oder ökologischen Produkten aber im Verhältnis zu den tatsächlichen Mehrkosten zu gross. Bei einem T-Shirt etwa machen die Löhne nur gerade 0,4 und das Material nur 8 Prozent der Gesamtkosten aus, wie 2005 aus einer Studie für das deutsche Umweltministerium hervorging. Hingegen fallen ein Drittel der Produktionskosten im Marketing an.

Fair oder falsch?

Das ist umso problematischer, da der Kunde bis heute keine Garantie erhält, dass er auch bekommt, wofür er bezahlt. Ein Beispiel dafür ist der amerikanische T-Shirt-Produzent American Apparel. Jahrelang galt das Unternehmer als «Öko-Kleiderfirma». Auf der Welle dieses Rufs reitend, entstand so in den letzten 10 Jahren ein börsenkotierter Konzern mit weltweit 180 Filialen und einem Umsatz von 435 Millionen Dollar. Zertifikate, die Fairness und Ökologie bescheinigen, gibt es allerdings keine. Das Wirtschaftsmagazin «Brand eins» berichtete kürzlich, dass die «einzige Produktionsstätte» des Konzerns 70 Prozent der fertigen Stoffe von Drittanbietern bezieht. «Woher die Zulieferungen kommen, mag American Apparel nicht verraten», so das Magazin. Konkrete Vorwürfe gibt es keine. Die Unsicherheit alleine ist aber bereits ein Problem.

Mit der zunehmenden Bedeutung des Marktes für fair produzierte Produkte zeichnet sich hier aber eine Wende ab. Erneut haben es Bioprodukte vorgemacht: Nur mittels Labels, Zertifikaten und Mindestanforderungen lässt sich die Marke Fair Trade vor Missbrauch und Verwässerung schützen. Je härter der Wettbewerb, desto grösser das Interesse der Unternehmen, sich vor Trittbrettfahrern zu schützen.

http://sc.tagesanzeiger.ch/dyn/news/wirtschaft/923374.html

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