Mittwoch, 17. Dezember 2008

Arthur Russell

Ca. 1981

Ein Film und eine neue CD stellen den musikalischen Avantgardisten Arthur Russell als Pop- und Folksänger vor.

Von Hannes Grassegger

Langsam erkennt die Welt, was sie an Arthur Russell gehabt hat, dem 1952 geborenen und 1992 an Aids verstorbenen Cellisten. Seit ein paar Jahren wird dieser Musiker neu entdeckt, der in den 70er Jahren indische und klassische Musik studierte, der in der Avantgarde wie in der Disco verkehrte und der in seinen leichtfüssigen Kompositionen die Songwriter-Tradition mit Neuer Musik verband. Man sieht im Amerikaner den Missing Link zwischen Avantgarde und Disco, und Kritiker vergleichen seine Bedeutung mit der von Brian Eno.

Jetzt könnte auch ein breiteres Publikum auf Arthur Russell aufmerksam werden: Der Film «Wild Combination», eben auf DVD erschienen, erzählt sein Leben, und die CD «Love Is Overtaking Me» zeigt eine neue, unbekannte Seite dieses Künstlers - den Popmusiker und Singer/Songwriter.

Late 80ies

Todkrank, manisch komponierend

Im Dokumentarfilm des jungen Regisseurs Matt Wolf wird Arthur Russell erstmals überblickartig porträtiert. Streng chronologisch, wie das bei diesem komplizierten Lebensweg kaum anders möglich scheint, stellt Wolf den Weg Russells vom Landei zum gefeierten Discoproduzenten dar - und zum halbvergessen dahinsiechenden, manisch komponierenden Aidspatienten. Sein Lebenspartner Tom Lee, aber auch der Dichter Allen Ginsberg oder der Komponist Philip Glass bieten Einblicke in das Leben des homosexuellen Aussenseiters, der nach seiner Flucht aus der ländlichen Provinz in San Francisco einer buddhistischen Sekte beitrat und diese verliess, um mit Ginsberg zu musizieren. Der 1973 mit dem Traum, Pophits zu schreiben, nach New York zog, dort musikalischer Leiter des Avantgardelaboratoriums The Kitchen wurde und dann sein Herz ans Nachtleben verlor.

Schöne Aufnahmen der Partys im The Loft machen verständlich, wie der an serieller Musik geschulte Russell in New Yorks monotonen Rhythmen und blühender Gay Community vieles von dem fand, wonach er immer gesucht hatte. Seine chaotischen, hippiesk improvisierten Aufnahmesessions mit einigen der berühmtesten New Yorker Discogrössen - Nicky Siano, Larry Levan, die Ingram Brothers - brachten Disconummern hervor, für deren Originale die Sammler heute Hunderte von Dollars hinblättern.

Countryboy

Der Avantgardist als Popsänger

Spätere Soloprojekte zeigen eine andere Seite. Hier lässt Russell seinen zwischen brüchigem Falsett und flächigem Tenor wechselnden Gesang einzig durch die abstrakte Rhythmik seines im Pizzicato gespielten Cellos begleiten, selten ergänzt durch Schlagzeugcomputer.

Der Film zeigt wenig, was man über Arthur Russell noch nicht gewusst hat. Er ist für Einsteiger aber eine gute Gelegenheit, diesen musikalischen Einzelgänger kennen zu lernen. Auch für Kenner eine Entdeckung ist aber der Popmusiker Arthur Russell: «Wild Combination» präsentiert bisher unveröffentlichte Folk-, New-Wave- und Country-Nummern aus Russells Nachlass, die durch Eingängigkeit und kompositorische Eleganz bestechen.

Diesen Russell, der an der Gitarre über Gott und Girls (!) singt, den kannte man noch nicht. Seine Dreiminutensongs sind auch auf der neusten CD auf Audika greifbar, auf jenem Label, das eigens zur Veröffentlichung des Russell-Nachlasses gegründet worden ist: «Love Is Overtaking Me» ist eine sehr empfehlenswerte Sammlung in teilweise begrenzter Aufnahmequalität. Aber so klingt es halt, wenn man aus dem Grab heraus Pophits veröffentlicht.

Wild Combination: A Portrait of Arthur Russell. Regie: Matt Wolf (Plexifilms).

Arthur Russell: Love Is Overtaking Me (Audika).

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