Dienstag, 20. Oktober 2009

Bio-Baumwolle im Schweinezyklus

Die Nachfrage steigt weniger als die Produktion
nun bleiben Bauern in Indien auf ihrer Ware sitzen


Von Hannes Grassegger

Viele in der Branche wollen gar nicht drüber reden. Über den grossen Angebotsüberhang an Biobaumwolle, also Cotton aller Fasertypen, bei dessen Anbau die Prinzipien der organischen Landwirtschaft nach EU- oder US-Standard eingehalten werden. Jahrelang hatten Verarbeiter, Detailhändler und Non-Profit-Organisationen auf eine Ausdehnung der Produktionskapazitäten hingearbeitet.

Hohe Prämien lockten die Bauern. Da Anbauflächen für Bio-Baumwolle erst nach einer Umstellungsperiode von zwei bis drei Jahren zertifiziert werden, zeigen sich die Folgen zeitverzögert. Erst gab es Mangel und hohe Preise, jetzt Überschuss zur Unzeit. Ein sogenannter Schweinezyklus hat begonnen. Erstmals warnt der Branchenverband Organic Exchange Farmer davor, ohne feste Abnahmeverträge Biobaumwolle anzupflanzen. Auch über neue Handelsformen und Biotechnologie wird nachgedacht. Revolution in der Bio-Szene?

Purzelnde Preise

Die Branche befindet sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium und deckt trotz hoher medialer Präsenz winzige 0,6 Prozent des weltweiten Baumwollmarktes ab. Aktuelle Preisentwicklungen sind nicht auf den ersten Blick ersichtlich, da Biobaumwolle nur physisch, nicht aber an Börsen gehandelt wird. Doch der Preisverfall ist erheblich. Die Aufschläge von 40 bis 50 Prozent im Verhältnis zu konventioneller Ware, die man früher Farmern zahlte, seien auf rund 15 Prozent gefallen, rapportiert Jitender Kumar vom indischen Weiterverarbeiter Alok Industries. Bio-Cotton werde zu minimen Aufschlägen von nur 2 bis 5 Prozent angeboten, berichtet die Remei in Rotkreuz ZG, einer der wichtigsten Player im Geschäft. Man beobachte eine Angleichung an die Preise konventioneller Ware, meint auch der bedeutende Cotton-Händler Reinhart aus Winterthur.

Dabei wuchs der Absatz bisher phänomenal: Weltweit stieg er 2007 um 83 Prozent, 2008 um 63 Prozent. Jetzt steigt die Nachfrage nicht mit dem fallenden Preis. Dieses Jahr werden maximal 20% Plus erwartet. Grosse Endkunden wie Coop Naturaline, die vor allem von Remei beliefert werden, wollen nun nicht von kurzfristigen Preisen profitieren. Der eigene Weg sei langfristig angelegt, ebenso wie die geltenden Abnahmeverträge und die feste Bio-Prämie von 15 Prozent für die Farmer. Man habe im letzten Jahr den Naturaline-Umsatz um 5 Prozent gesteigert und wachse 2009 weiter. Auch die Kleidermarke Switcher, die ab 2011 vollständig organisch produzieren will und zur Zeit 25 Prozent ihrer Baumwolle Bio bezieht, winkt ab. Man könne nicht kurzfristig shoppen, die Qualitäten der Biobaumwolle bedingten Erfahrungsaufbau.

Wie dem statistischen Zentralorgan der Biotextilbranche, dem Marktreport des Non-Profit-Fachverbandes Organic Exchange, zu entnehmen ist, summierten sich ab dem 2. Quartal 2008 die Lagerbestände innerhalb der Wertschöpfungskette von Spinnerei bis Näherei bis Anfang 2009 auf 42 000 Tonnen.

150 Prozent mehr produziert

Die Überschüsse der vergangenen Saison beruhen auf einer massiven Produktionsausweitung von 152 Prozent. Vor allem Indien, Syrien und die Türkei haben massiv mehr produziert. Jetzt ist die Pipeline voll und der Druck von hinten steigt weiter, wie aktuelle Schätzungen von Simon Ferrigno von Organic Exchange zeigen. Fast 178 Megatonnen Organic Cotton erwartet er für die laufende Saison, ein Plus von 22 Prozent. In Kombination mit dem Lagerbestand und dem erwarteten Absatz dürfte sich das massive Ungleichgewicht verschärfen. In Indien gebe es bereits Bauern, die sich in Konversion zu Bio befänden, nun aber zurückruderten, meint Jitender Kumar aus Mumbai. Organic sei eine unsichere Luxusware.

Liegen bliebe besonders die afrikanische Ware, meint Ferrigno. Wer seine Organic- oder Fairtrade-Baumwolle nicht verkaufen könne, bringe diese zu konventionellen Preisen auf den normalen Markt, heisst es bei Max Havelaar. Trotz grossem Absatzzuwachs registriert auch die Fairtrade-Initiative zu grossen Nachschub.

Ein gebrochenes Versprechen?

Hatte man nicht Bio- und Fair-Trade-Bauern ein sicheres Auskommen versprochen? Und Nachhaltigkeit? Handel als Hilfe, hiess die Idee. Auch für das hiesige Staatssekretariat für Wirtschaft Seco ein Grund, zusammen mit der Entwicklungsorganisation Helvetas als sogenannter Fazilitator Bio-Cotton Wertschöpfungsketten und den Anbau in Westafrika zu fördern.

Seit Jahren habe sie die Non-Profit-Organisationen vor zu kurzfristig gedachter Angebotsförderung gewarnt, meint eine Ökonomin die zu diesem «stark moralisierten» Sektor forscht und lieber anonym bleiben will. Als die Abnehmer zu Beginn der globalen Wirtschaftskrise ihre Kaufvereinbarungen nicht einhielten, habe der Überhang begonnen.

Mark Starmanns, Spezialist für fairen Handel an der Uni Zürich, nimmt auch die Konsumenten in die Pflicht: Diese sollten eher Bio-Ware kaufen. Aber, ergänzt Starmanns, wenn nur wenige Modebrands attraktive Organic-Ware anböten und die entsprechenden Labels nur wenigen Konsumenten bekannt seien, sei das schwierig. Deshalb trügen die Unternehmen eine Mitverantwortung. Aus seiner bald erscheinenden Studie schliesst er, «kleine Schweizer Mode-Labels glauben, dass die Konsumenten kein grosses Interesse an Bio-Mode haben.“


Die Bio-Zukunft wird anders

Der Absatz schwächele doch gar nicht, moniert Hans-Peter Egler vom Seco, er könnte lediglich noch stärker zulegen. Der allgemeine Biotrend sei ungebrochen. So hoffen das auch die Akteure der Branche. Die drei grössten Abnehmer Wal Mart, C&A und Nike, die zusammen 50 Prozent der weltweiten Nachfrage ausmachen, bekennen sich zu weiterer Expansion. An einer Fachkonferenz diesen Herbst in Seattle zeigt sich rege Teilnahme, unter anderem auch von Disney und Adidas.

In der Schweiz schätzt man, dass der Bio-Marktanteil von derzeit 5 auf bis zu 10 Prozent steigen wird. Wie interne Zahlen der Helvetas zeigen, sieht der Absatz der westafrikanischen bio und zugleich fair zertifizierten, hochpreisigen Baumwolle aus ihren Förderungsprojekten relativ gut aus. Etwa 13 Prozent der Ernte warte noch auf einen Käufer, Verhandlungen liefen bereits. Mitte 2010 seien die Märkte wieder geräumt.

Alok Industries denkt gar, dass die Prinzipien des Bio-Anbaus langfristig zum Industriestandard würden. Dies aber nur, wenn man auch den wirklich grossen Wachstumsmarkt genetisch veränderter Baumwolle miteinbeziehe. 54 Prozent aller 2008 verwendeten Baumwolle sei bereits Biotech gewesen. Ein Paradigmenwechsel in der Branche, ebenso wie die Einführung eines Spotmarktes für Bio-Cotton, den die meisten befragten Parteien nun befürworten. Eine Börse könnte dem bislang intransparenten Markt die Signale zur Glättung von Schwankungen in der Produktion liefern. Und auch bei den Entwicklern von Standards feilt man an besserem Marketing.

Während die Bauern in Indien und anderswo auf bessere Zeiten hoffen, versuchen Helvetas, Seco und private Anbieter mit einer Plakatkampagne die Konsumenten für das Thema bio-faire Textilien zu sensibilisieren. Den ersten Kunden beriet Helvetas schon davor. Die Stadtpolizei Zürich trägt seit Anfang dieses Jahres hundertprozentig bio-faire Hemden.

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