Freitag, 6. Mai 2011

Der Neue Pop

Das Magazin Grassegger

Eine neue Generation Schweizer Musiker will nichts weniger, als die Welt erobern. Mit Pop.


Das ist Folgerichtig. Ergebnis eines neuen Denkens.

(Für Das Magazin, Schweiz...der volle Artikel bis jetzt nur in der Druckausgabe. Der folgende Text ist der Background zum Artikel in "Das Magazin", Nr. 18)

...
Musik ist die frühste öffentliche Äusserung einer Generation. Literaten, Maler, Politiker, alles kommt später.

Man kann etwas verstehen, etwas heraushören. Neu ist das grösser, internationaler und toleranter Denkende, Un-nischige. Der Pop-Charakter. Und es geht nicht um Krieg sondern um Weltoffenheit und darum dass die Nullerjahre mit ihrer Ängstlichkeit und Segregation vorbei sind.

Diese Jahre ab 9/11 und Globalisierungskritik, als sich angeblich lauter Parallelgesellschaften bildeten, die sich angeblich feindlich gegenüberstanden. Als man sich fragte, ob man nicht einfach alle rausschmeissen sollte, die irgendwie ein Risiko darstellen könnten. Damals, als die New Yorker Reiche-Kinder-Band The Strokes enge Hosen einführte, in denen man sich nicht mehr frei bewegen konnte. Und die, die weiterhin weite Hosen trugen, rappten über Kleingruppen, Crews, die teuflisch gut zusammenhalten und alle anderen besiegen.

Wie gut wäre denn im Mundart-Hiphop-regierten Bern der Nullerjahre die Selbstdefinition von Labrador City (mehr dazu im Print Text, hg) angekommen: „Wir machen Popmusik, also Rockpop.“ Die Crews hätten Nik Stettler von Labrador City voll real von der Bühne gebattlet. Doch heute, wo so Viele genervt sind von der Stierheit der Parallelgesellschaft, von Realness oder politischem Fundamentalismus, ist Pop gefragt. „Let it go“, sagt Elia Rediger, Leadsänger der Basler Band The Bianca Story; Nik Stettler findet „weite Definitionen gut.“.

Die Jungs haben die Gnade der späten Geburt. So zwischen 1985 und 1990 erblickte ihre Generation das Licht der Welt, und was sie sah in diesen prägenden Kinderjahren, das war ganz wunderbar. Die Leute trugen flippige Frisuren, es war okay anders zu sein, gleichzeitig hatte man den ganzen revolutionären Kram der letzten Jahrzehnte abgeschüttelt. Dann fiel auch noch die Mauer, es sah nach grossem Weltfrieden aus, Bill Clinton war nett und Francis Fukuyama dachte schon über das „Ende der Geschichte“ nach. Globalisierung war DAS neue Ding. Dazu gehörten Vertrauen, Freiheit und Öffnung.

United Colors of Benetton

„United Colors of Benetton“ hiess die Marke dieser Epoche bezeichnenderweise. Alle Benetton Modells hatten verschiedene Hautfarben. Alle trugen den gleichen bürgerlichen V-Neck Pullover. Einfach in unterschiedlichen Farben. Dazu gehörte die Swatch. Die Pop Swatch. Alle gleich und doch unterschiedlich. Das war Ausdruck des letzten verbindenden Gesellschaftskonzepts bevor die Türme umgeworfen wurden. "Die goldenen Neunziger", sagte der deutsche Sozialpsychologe Harald Welzer vor kurzem bei einem Vortrag in Zürich dazu.

Ein später Kinderhit dieser Generation ab 1985 war Oasis’ „Wonderwall“. Ein grosser Pophit für das englische Creation Records Label. Sozusagen die Erfüllung des Planes der für Stadionrock, Punk oder Disco zuspätgeborenen Creation-Gründer, die damals den Britpop miterfanden. Ihre Vision war eine Musik, die vom Punk die Einfachheit und Zugänglichkeit geerbt, aber das abstossend Lärmige, das Segregierende abgeschüttelt hatte. Creation führte das in vielen Nischen gestrandete Potential der Rockmusik zurück in den Gemeinplatz, die Allmend - den Pop. Gleichzeitig achtete man bei Creation auf Niveau und Stil. Gute Musik für alle. Der grösste gemeinsame Nenner.

In diesem Anspruch liegt auch der Unterschied zur anderen integrativen Musik dieser Epoche, der elektronischen Tanzmusik. Wenn diese in die Breite geht, findet sie den kleinsten gemeinsamen Nenner. Anschaulicher Beweis: das aufs nackte Fleisch runterreduzierte Stampfen einer Streetparade in Zürich. Auch daran starb die Loveparade in Berlin: Inhaltslosigkeit. Wie sollte Dr. Motte dafür ein Motto finden? Da hat Pop mehr zu erzählen.

Wer heute Anfang zwanzig ist, für den sind die Nullerjahre Vergangeheit und die Achtziger präsent. Musik, Ästhetik, Filme, alles wurde in den Nullerjahren brav aufgearbeitet von den verschiedenen kleinen Gegengesellschaften, die stets nach dem verloren gegangenen Zeitgeist suchten. Anfang 2010 kamen sie ganz offiziell im Pop der Spätachtziger und Frühneunziger an. Datierbar anhand des Plattencovers der letzten Veröffentlichung der erfolgreichen New Yorker Post-Hipster Band Vampire Weekend. Ein bourgeoises Girl im Poloshirt mit hochgeklapptem Kragen. „Contra“ heisst das Album. Innendrin ist netter Pop mit Weltmusikeinflüssen. Es ist der Versuch, einen grössten gemeinsamen Nenner zu formulieren.

Genau wie hierzulande auch von jungen Bands versucht wird, eine neue integrative Formel zu finden. Den Neuen Pop.

Die Netzwelt

Es gibt neben den Kindheitserfahrungen noch einen gewichtigen Grund für das Bewusstein dieser Generation. Vielleicht sogar der Wichtigere. Wer zur Hälfte im Internet aufwuchs, in der Schule googeln lernte und sonst in Netlog, StudiVZ, Facebook, Skype, Myspace chattete, kommentierte und sich profilierte, der lernte beim Streunen durch die Weite der flachen Netzwelt – wo Kinderpornographie, Gore und die EDA-Website nebeneinander stehen – einiges.

Erstmal: es gibt ungeheuer vieles. Und die ganze Geschichte ist auch noch versammelt. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, bewegt auf YouTube: 50s, 60s, 70s, 80s, Iran und USA. Die Netz-Welten haben zudem viele Türen, und für jede Stimme, jedes Comment irgendwo auch Zuhörer. Man kann sich überall einmischen. Wie schräg die anderen drauf sind, antun können sie mir aber (fast) nichts. Das Netz ist, zumindest physisch, harmlos. Allerdings muss man sich abgrenzen lernen. Naivität ist nicht angesagt im Zeitalter von Exekutionsvideos, Passwort-Phishing und Trolling. Aber man beginnt die Welt anders zu sehen. Wie ein Globetrotter. Alles was interessiert, ist eine Reise wert.

Bilder von Rico und Michael, Text von Hannes Grassegger. In der aktuellen Ausgabe (No. 18) von Das Magazin. Print oder als App.


The Bianca Story


Labrador City - Feathers


Sheila She Loves You


Anna Aaron


Fai Baba

Mehr Musik: hier.

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