Samstag, 6. August 2011

Die unheimliche Macht

Tages-Anzeiger Grassegger

Der Präsident der USA, des mächtigsten Landes der Welt, hat ein Problem. Er regiert nicht mehr. Er wird regiert. Auch wenn die Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten wohl in letzter Minute abgewendet wird, so bleibt er ein Getriebener.

Hannes Grassegger

Was Barack Obama fürchtet, sind die Ratings, wie er am 25. Juli in einer Rede an die Nation erklärte: «Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes könnte uns die Topnote AAA abgesprochen werden.» Dadurch würden die Investoren weltweit verunsichert, ob die USA weiterhin eine gute Anlage seien. Die Angst kommt nicht von ungefähr: Die grossen Rating-Agenturen hatten mit einer nachträglichen Herabstufung der USA gedroht, wenn der Staatsbankrott zwar abgewendet, aber Obamas Lösung in ihren Augen «nicht nachhaltig» sei. Nun warten alle auf ihr Urteil.

Staaten wie Schüler benotet

Die Ratings, die für Obama zählen, werden von den drei führenden Agenturen ausgesprochen: Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Sie bewerten die Fähigkeit, Schulden bezahlen zu können. Wie bei Schulnoten werden alle Leistungen von den Agenturen zu einem Wert zusammengefasst. Das höchste Rating ist Triple A, also AAA. Es bedeutet uneingeschränktes Vertrauen – das genoss die Wirtschaftsmacht Nummer 1 seit je.

Auf dessen Basis liehen selbst die risikoscheusten Geldgeber weltweit der USA Mittel. Solche Investoren – Pensionskassen, Versicherungen oder Banken – folgen den Rating-Agenturen. Oft dürfen sie nur in mit Triple A benotete Anlagen investieren. Verliert ein Kreditnehmer die Höchstnote AAA, müssen sie ihre Gelder abziehen. Das kann für den betroffenen Schuldner zu aufwendiger Kreditsuche, zu immer höheren Zinsen – und in einen Teufelskreis führen.

Wenig transparente Kriterien

Welche Lösung der US-Schuldenkrise «nachhaltig» wäre, entscheiden die Rating-Agenturen aufgrund wenig transparenter Richtlinien. Selbst wenn ihre Note aufgrund fehlerhafter Annahmen ausgesprochen würde, könnte ein negatives Rating wegen der beschriebenen Konsequenzen, das heisst dem Abzug institutioneller Anleger, eine selbst erfüllende Prophezeiung werden, wie eine aktuelle Studie der Hochschule St. Gallen (HSG) bestätigt.

Können die Rating-Agenturen einen so komplexen Staatshaushalt wie jenen der USA, ein Geflecht von Millionen von Verträgen, überhaupt auf eine Note reduzieren? Das bezweifeln laut dem US-Politmagazin «Politico» nicht nur amerikanische Politiker – das bezweifeln auch die Profis an der Wallstreet und die Wissenschaftler der HSG.

Sie haben Grund dazu. Schon vor der Finanzkrise 2007 irrten sich die Rating-Agenturen gewaltig. Ihre Triple-AAA-Bewertungen für später als «toxisch» und wertlos erkannte Schuldverschreibungen (CDO) waren Mitursache des Investmentbooms und der folgenden Geldvernichtung, welche mittelbar die heutigen Staatskrisen verursachte. Während damals Schrottpapiere überbewertet wurden, so werden heute Staaten unterbewertet, klagen die Staatschefs im Euroraum. Und das tun sie laut der HSG-Studie zu Recht. Aber Jammern hilft nicht gegen die Staatsverschuldung. Regierungen in Krisenländern wie Portugal, Irland, Griechenland und Spanien müssen brutale Sparprogramme durchsetzen, um gute Ratings zu erhalten.

Statt den Bewertungen der Rating-Agenturen zu folgen, wettete der skeptische Investor Steve Eisman vor der Finanzkrise 2007 gegen die CDO – und machte so ein Vermögen. Der Einzelgänger hatte sich dazu entschlossen, nachdem er Rating-Agentur-Mitarbeiter näher kennen gelernt hatte. «Die Jungs waren Nobodys», erinnerte er sich in einem Interview, das im Buch «The Big Short» nachzulesen ist. «Sie trugen billige blaue Anzüge mit zu gut passenden Krawatten. Sie waren schlecht bezahlt. Wer das Zeug dazu hat, geht an die Wallstreet.»

Allmächtige Agenturen

Eisman horchte die Rating-Profis aus und erkannte, dass sie blind fehlerhaften Modellen vertrauten. «Sie handelten, ohne gross nachzudenken.» Und sein Investmentpartner bemerkte: «Im Geschäft waren mehr Idioten als Betrüger. Aber die Betrüger waren oben. Und die Rating-Agenturen waren so weit unten wie überhaupt möglich.» Er hielt sie für Idioten. Aber, so Eisman: «Die Leute hatten zusammen mehr Macht als irgendjemand sonst im Anleihenmarkt.»

Weil die Entscheidungen von Millionen Investoren, die Entscheidungen von Regierungen und sogar des Präsidenten der USA von den Rating-Agenturen geleitet werden, besitzen sie eine unheimliche Macht. Glaubt man Eisman, wird die Welt von Idioten regiert. Und das auch weiterhin.

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