Freitag, 10. Dezember 2010

Wikileaks als Business Case


Wikileaks ist Vorbote eines neuen, globalisiert-arbeitsteiligen Mediensystems

Kommentar von Hannes Grassegger

Die aktuellen Enthüllungen von Wikileaks sind alles andere als Pipifax. Auf Basis der von Wikileaks veröffentlichten Papiere entstand nicht nur eine weltweite Diskussion über Transparenz in der Politik, Eigenschaften von Mächtigen oder die Pressefreiheit in demokratischen Staaten. Darüber hinaus wehte durch viele Länder ein starker Wind der Wahrheit. Selbst wenn er Banales verkündete, wie die mangelnde intellektuelle Brillianz des deutschen Aussenministers Guido Westerwelle, so wurde doch klar, wer diese Einschätzung teilt. In diesem Fall hohe offizielle US-Stellen. Nicht einfach nur ein Redakteur. Das sind also News. Sogar hochwertige.

Möglich wurden diese nur durch die harte Arbeit sachkundiger Fachjournalisten, die sich derzeit durch die 250.000 Dokumente wühlen. Eine Arbeit die von Redakteuren in England, Deutschland, Spanien, Frankreich, den USA und auch der Schweiz geleistet wird. Etwas, was das wohl 5 bis 15-köpfige Kernteam von Wikileaks nie leisten könnte. Und ebenso wenig die Wikileaks-Freiwilligen, deren journalistische Kompetenz - ein mühsam zu erwerbendes Erfahrungswissen - kaum sicherzustellen ist. Ohne Journalisten, die sich um Rohdaten, lose Informationen kümmern, indem sie selektieren und Zusammenhänge schaffen, wäre Wikileaks, der starke Wind, nicht mal ein leises Lüftchen. Darüber ist sich auch das vom Schweizer Branchenmedium Persönlich befragte Kollektiv Schweizer Chefredaktore einig. Wikileaks braucht Journalismus.

Andererseits wissen diese Chefredakteure genau, das sie und ihre Journalisten nichts sind ohne Rohdaten und bislang unbekanntes Material. Neuigkeiten resultieren aus nichts anderem als Informationsasymmetrien zwischen Menschen. News sind, wenn diese Unterschiede durch das Vermitteln der Information in wohlverfasster Form an die interessierte Stelle ausgeglichen werden. Gegen Geld. Davon lebt der Journalismus. Insofern braucht der Journalist immer den Informant und dessen Rohdaten um seine Arbeit zu beginnen. Der heutige Journalist mit Laptop und Smartphone braucht leicht zugängliche Quellen. Der Journalismus braucht Vermittler von Quellen wie Wikileaks.

Wikileaks braucht Journalismus. Journalismus braucht Wikileaks.

Es ist also eine Arbeitsteilung. Sogar eine klassische. Aus Sagen und alten Büchern wissen jüngere Journalisten wie ich, dass es früher ein ganzes arbeitsteiliges Pressesystem gab: Quellenarbeit und Recherche durch Reporter und Dokumentarjournalisten, einen verfassenden Redakteur, Korrektorat und wieder Prüfung durch Redaktion und Dokumentation. Eine Arbeitsteilung, die unter den wirtschaftlichen Restriktionen der angeblichen Medienkrise gelitten hat und quasi aufgehoben wurde. Nur Giganten wie Der Spiegel oder trotzige Exoten wie Brand Eins leisten sich noch eigene Dokumentarjournalisten. Als Modell galt in den letzten Jahren: Journalisten sind mittlerweile gleichzeitig alles, was früher auf fünf bis sechs kritische Köpfe verteilt war. Fertig Arbeitsteilung. Zurück kommen kurz recherchierte Texte, orthographische Desaster. Faktizität - und damit Wert - fragwürdig. Eigentlich wusste jeder: Das kann nichts werden. Aber weiter wusste bislang niemand.

Während viele von Medienkrise sprechen, zunehmend uninteressanten Müll produzieren und herkömmliche Modelle (wie die Arbeitsteilung) zerstören, ist in Wirklichkeit die Nachfragesituation hervorragend. Wie unzählige Studien belegen, steigt weltweit der Medienkonsum. Wir lesen heute neben Zeitungen und Magazinen, Online News und auf dem Handy aktuelle Meldungen. Zudem werden durch das Zusammenwachsen und "Verflachen" der Welt Themen in mehreren Ländern gleichzeitig relevant. Nur die Analphabetenrate sinkt. Das alles vergrössert eigentlich den Absatzmarkt für Medienhäuser und Journalisten. Nur wie damit umgehen?

Ganz einfach: indem eine neue Wertschöpfungskette aufgebaut wird.

Wikileaks als Vorbote eines neuen Medienmodells, einer neuen Arbeitsteilung hat dies demonstriert. Es wurde "Briefkasten" einer Quellenarbeit leistenden Abteilung des sich neu formierenden globalen Medienbetriebs. Wikileaks hat als global denkender Medienakteur orchestriert weltweit Schlagzeilen vorbereitet und dabei arbeitsteilig mit existierenden Medien kooperiert, deren Dokjournalisten und Publikationen genutzt.

Wikileaks (oder ähnlich geartete erste Verarbeitungsstufen) funktioniert dabei als primäre Anlaufstelle für Menschen, die Informationen haben, aber nicht wissen wie und wo dies im Medienbetrieb genau anzubringen wären. Aufgabe von Wikileaks ist das Prüfen der Echtheit und das Weiterleiten an interessierte Weiterverarbeiter. Journalisten, also, die im besten Falle in kleinen, unabhängigen Redaktionen zusammenarbeiten.

Diese könnten im nächsten Zuge aus den geprüften Informationen interessante Texte verfassen, die sie wiederum nach einem Agenturmodell ihren Abnehmern verkaufen. Also "Gefässen" wie Tageszeitungen, Fernsehsendern oder Newsportalen. Diese müssen schlussendlich nur noch die Ware, also die passend aufbereiteten Texte, für den Endkunden als interessantes Paket anbieten und ausliefern.

Die Tendenz jüngerer Journalisten, unabhängige Redaktionen zu gründen - wie das erfolgreiche Korrespondentenbüro newyorkgermanpress.com, welches weltweit Tageszeitungen als Gefässe für die Publikation der eigenen Texte nutzt - zeigt, dass auch Andere das neue arbeitsteilige System am Erlernen sind. Sozusagen als zweite Verarbeitungsstufe, als potenzielle Abnehmer von Medienunternehmungen wie Wikileaks. Solche Redaktionsbüros verdienen bereits gutes Geld für gute Inhalte. Alle Seiten profitieren an diesem Modell.

Auch diesbezüglich liefert Wikileaks also hochwertige News. Eine neue Wertschöpfungskette im Medienmarkt entsteht. Wikileaks ist ein Business Case.

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