Freitag, 4. März 2011

Fredi auf Leistungsschau

Ein Zürcher Student der Kunstgeschichte soll eine der meistdiskutiertesten deutschen Ausstellungen des Jahres 2011 mitkuratieren.

Hannes Grassegger für Die ZEIT (Schweiz)

Es ging schnell für Fredi. Im Oktober erhielt der Zürcher Bachelor-Student der Kunstgeschichte und Sohn des Künstlers Peter Fischli eine Einladung, sich als fünftes Mitglied des Kuratorenteams einer hochdotierten Kunstausstellung vorzustellen. Im November kam der 23-jährige in die grösste Schlacht Berliner Kulturschaffender seit der Jahrtausendwende. Und zuhause gabs Klausuren. Sofort danach zog Fredi nach Berlin. Nun stellt er sich genau auf die Konfliktlinie.

Im Grossen offenbare der Konflikt um eine zu Beginn als „Leistungsschau“ bezeichnete temporäre Berliner Kunsthalle die Distanz, die sich in Deutschland zwischen Kulturförderung und Kunstschaffen entwickelt habe, erklärt Fischli.

Im Detail geht es um eine 1,7 Millionen Euro schwere Ausstellung, die vom 8. Juni bis 24. Juli das derzeitige Berliner Kunstschaffen reflektieren soll. Zum Vergleich: der „Kunstraum Kreuzberg“ überlebt mit knapp 140.000 Euro, die „Kunstwerke“ mit einer halben Million im Jahr. Dass Berlin, welches jährlich 4 Millionen Euro für die Förderung der bildenden Künste aufbringt, im Wahlkampfsommer so viel locker machen kann, stiess Kritikern sauer auf. Den Event „Leistungsschau“ zu nennen, fanden sie zum Kotzen. Flugs baute sich in der früheren Mauerstadt ein Zweifrontenkampf auf. Tausende Künstler unterzeichneten einen offenen Brief an Klaus Wowereit, in dem auch der Auswahlprozess der Jungkuratoren mit Fischli kritisiert wird.

Die Kritiker schiessen scharf. Fischli sei als unerfahrener Kurator von Aussen in ein Kulturpolitik-Schlachtfeld hineingeraten, dem er nicht gewachsen sei, meint Ellen Blumenstein, Mit-Initiatorin des Offenen Briefes. Nicht was auf der Leistungsschau am Ende ausgestellt werde sei wichtig, sondern die Debatte über das „wie“ der Kunststadt. Über Freiräume, Arbeitsbedingungen. Sie wundert sich über die Blauäugigkeit, der Jungkuratoren.

Dass die Berliner Kulturlandschaft politisiert sei, habe er gewusst, stöhnt Fischli, „aber doch nicht so.“ Er sehe sich gar nicht als Goliath im David-gegen-Goliath Paradigma. Nicht bei seinem Hintergrund.

Die Jungkuratoren wurden von einem dreiköpfigen, renommierten Gremium erlesen. Während die vier anderen - Angélique Campens, Scott Weaver, Magdalena Magiera und Jakob Schillinger (alle zwischen 1978 und 1981 geboren) – wie das Gros der Berliner Künstler nicht aus Berlin stammen, bringen sie doch, anders als Fischli, einen internationalen Leistungsausweis mit.

Doch Fischli ist gradlinig. Nach dem Abitur absolvierte er Assistenzen und Praktika bei der Matthew Marks Gallery New York und im Migros Museum für Gegenwartskunst, veranstaltete temporäre Ausstellungen in Zürich; an der Universität Zürich hielt er ein Tutorat übers Kuratieren. „Zudem lernte ich durch meinen familiären Hintergrund schon früh, was und wie die Kunstwelt verhandelt.“, erklärt der kräftige Kerl, der dunkle Augenringe hat, aber um Statements nie verlegen scheint.

Als Fischli mit Partnern letzten Sommer in Zürich für kurze Zeit im Darsa Comfort Projekt einen Überblick über das derzeitige Zürcher Kunstschaffen kuratierte, bemerkte ihn Hans-Ulrich Obrist, Teil des Gremiums der Leistungsschau. Obrist, 42, Schweizer, einer der visibelsten Kuratoren weltweit, erlangte als 23-jähriger Student in St Gallen Weltruhm, weil er unter anderem Werke von Fredis Vater bei einer Privatvernissage zeigen konnte.

Diesen Zusammenhang tut Fischli ab: „Ich trat gegen vierzig Kandidaten an und kam als letztes Teammitglied hinzu. Gewählt haben mich alle drei Berater, neben Obrist auch Christine Macel und Klaus Biesenbach.“

Für Obrist ist Fredi Fischli „einer der herausragendsten jungen Kuratoren international“. Fischlis Neugierde, Energie und extreme Gegenwart, seine besondere Fähigkeit zur Immersion in junge Kunst seien aufgefallen. Seine kuratorische Leistung, die Teamfähigkeit habe ihn sehr beeindruckt. In der Schweiz gebe es derzeit eine dynamische Energie, zu spüren in Zürich bei Fredi Fischli oder im Basler Off-Space New Jerseyy. Sorgen, Fischli JR in ein Politschlamassel befördert zu haben, hat er nicht.

Fischli denkt, an der Herausforderung zu wachsen. Er sichtete hunderte eingesandte Künstlermappen, trifft ständig Künstler. Er liebe die Recherche, spüre keine Ablehnung von deren Seite„Wenn die mich sehen, verstehen sie, ich teile ihre Meinung und Bedenken.“ Es könne nichts Besseres passieren, als in einer Ausstellung mitzuwirken, deren Relevanz so offenbar sei.

Aktuell versuchen die Jungkuratoren sich in die Debatte einzubringen. Mehrfach verkündeten sie vor der Presse ihre Position, nannten die Leistungsschau um in „Based in Berlin“ und integrierten unter anderem die „Kunstwerke“ in ihr Konzept. Das Team positioniert sich als Vermittler zwischen den Fronten. Ob das klappt, liegt am Geschick der Jungkuratoren. „Based in Berlin“ wird zur Leistungsschau für Fredi Fischli.

Link zur Die ZEIT Version

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