Freitag, 13. Januar 2012

Financial Times Germany

Dale Guild FTD

Mit uralten Maschinen und neuen Geschäftsideen wagen sich wieder Bleisatzdrucker und Schriftgießer auf den Markt

Hannes Grassegger, New York

In Brooklyns Stadtteil Williamsburg sollte eigentlich die Zukunft entstehen. Hier lebt Amerikas kulturelle Vorhut, aus allen Teilen des Landes kommen die jungen Kreativen. Die Promeniermeile Bedford Avenue ist voll individualistischer Mittzwanziger – die doch alle seltsam gleich aussehen. Irgendwie alt. Fast nichts, was die vollbärtigen Jungs in ihren Holzfällerhemden und die Girls in ihren antiken Pendleton-Jacken kaufen, ist wirklich neu: Wiederveröffentlichungen von Büchern, Schallplatten und Turnschuhen.

Nur drei Parallelstraßen weiter liegt eine der Keimzellen des neuen „alten“ Williamsburg: Die Bleisatzdruckerei The Arm. Zuerst waren es Independent-Bands, die hier tagsüber auf Maschinen aus der Cowboyzeit ihre Plattenhüllen druckten und abends in der alten Garage auftraten, heute buchen hier Firmen wie Google und Condé Nast Workshops.

Im hellen Innenraum läuft Jazz, an drei Reihen gusseiserner Pressen arbeiten heute vier Besucher. Grafiker Derrick Holt freut sich über die Möglichkeit, seine Entwürfe mit den eigenen Händen umzusetzen. Neben ihm druckt sich ein Berater Visitenkarten auf schwerem Papier, „handgemacht, da spürt man meinen Namen.“
The Arm ist legendär, Vorläufer eines Revivals alter Drucktechnik. Eine Handvoll solcher Studios existieren in New York. Auch in Deutschland haben die Bleisatzdruckmaschinen wieder Konjunktur, sagt der Berliner Verleger und Akzidenzdrucker Martin Z. Schröder: „Letterpress ist sehr in Mode.“ Handgedrucktes Briefpapier, die Visitenkarte in klassischer Typographie sind keine Accessoires von Nostalgikern oder aus der Zeit gefallenen Sonderlingen mehr.

Hatch Show Print at The Arm

Soeben wird im The Arm eine neue Maschine angeliefert, über hundert Jahre alt. „Alles Neue was Du hier siehst, ist alt“, sagt Inhaber Dan Gardiner Morris, natürlich trägt er Jeans und Holzfällerhemd. Man müsse nur in die Vergangenheit schauen, um bessere Produkte herzustellen.
„Retromania“, nannte ein bekannter Kulturkritiker kürzlich sein Buch über die anhaltende Obsession der westlichen Jugendkultur mit der Vergangenheit. Dahinter steckt aber mehr als eine Mode, sondern ein anderes wirtschaftliches Denken. So wie Anleger in Zeiten unsicherer Börsen auf Gold setzen, sind auch Amerikas gebrannte Bürgerkinder auf der Suche nach sicheren Werten. In der Schule haben sie den Zusammenbruch der New Economy erlebt und auf dem College das Platzen der Immobilienblase. Jetzt brauchen sie etwas zum Festhalten. Oder Neustarten.

„Was macht man, wenn man etwas Wichtiges verloren hat? Man vollzieht seine letzten Schritte nach. Man erkundet die Vergangenheit, um ein Problem der Gegenwart zu lösen. Das ist keine Nostalgie. Das ist Vernunft“, erklärt der Journalist Kurt B. Reighley das Phänomen.
Morris hat es geschafft seine Uralttechnik profitabel zu machen. Der 33-jährige bietet Drucke in Kleinauflagen, vom Plakat zur Einladung; er vermietet Studiozeit und gibt Kurse. Im The Arm kann man lernen, wie man seine Entwürfe mit Bleisatz- oder Holzlettern umsetzt. Das zieht. Sogar der größte amerikanische Designerverband AIGA arbeitet hier.

2009 wagte Morris den nächsten Schritt und kaufte zusammen mit einem Freund die Reste eines Imperiums. Eine Holzhütte voll antiker Maschinen ist einzige Überbleibsel der American Type Foundry (ATF), des riesigen Zusammenschlusses der amerikanischen Schriftgießereien.

The Dale Guild Type Foundry

In der Konsolidierung fast aller verbliebenen Bleigiessereien zu einem Riesenunternehmen, der ATF, hatte Anfang des 20. Jahrhunderts Gutenbergs uraltes Handwerk Zuflucht vor dem Wandel der Zeit gesucht, noch in den 1920er-Jahren unterhielt die ATF sogar eine eigene Softball-Liga. Aber sie war ein sterbender Riese: 1993 schloss der Betrieb, der bis zum Schluss die Titellettern der New York Times gegossen hatte. Der Maschinenpark wurden versteigert – an den letzten ATF-Lehrling Theo Rehak, der damit 1994 unverzagt seine eigene Gießerei gründete: die Dale Guild Type Foundry.

Heute pflegt eine neue Generation den Nachlass. „Mein Job ist seit 125 Jahren obsolet“ sagt Micah Currier, als er das Licht in der Dale Guild anschaltet. Der 29-jährige Enkel eines jüdisch-polnischen Partisanen ist der letzte gelernte voll berufstätige Schriftgießer der USA. Der Einzige, der hier Blei, Zink und Aluminium schmilzt und die 16 Barth-Casting-Maschinen mit den massiven Schrauben und Schläuchen anschmeißt, um Buchstaben zu fertigen. Currier hat einen Auftrag. Er trägt die Verantwortung für den Erhalt einer Tradition.


The Dale Guild Type Foundry

Jahrelang hatte der studierte Englischlehrer versucht, als Lehrling in der Dale Guild aufgenommen zu werden, „sie war mein Mekka.“ Immer hatte Theo Rehak abgewunken. Aber dann bekam die Gale Guild einen Großauftrag und mit Rehaks Gesundheit ging es bergab und plötzlich hatte Currier doch eine Lehrstelle. Und das Angebot, den Betrieb zu kaufen. Kaum mehr als den Schrottwert des einzigartigen Maschinenparks bezahlten Currier und sein New Yorker Freund Morris.

Seither versuchen Rehaks Erben, ein Geschäftsmodell zu finden. Denn obwohl der Hochdruck eine Renaissance erlebt, ist die Bleigießerei fast tot. Neben der Dale Guild gibt es in ganz Europa und den USA nur noch zwei Betriebe. Kommerziell arbeitende Kunden kann Currier an zwei Händen abzählen, der Verkauf an die junge Letterpress Szene bringt wenig. Ob und wie er es schaffen wird, weiß er noch nicht. Er geht auf Messen, bald ist er zum ersten Mal in England.

Hoffen lässt ihn auch der wachsende Markt für Bücher im alten Stil. Anfang November wurde erstmals seit zehn Jahren ein Buch mit neuer Dale Guild-Typographie veröffentlicht. Preis der Schriftsätze für das Buch: mehrere Zehntausend Dollar.

ATF/ Dale Guild Williamsburg Ornaments


Das Geschäft ist hoch riskant: Die Bleipreise schwanken, für die uralten Maschinen fehlen Ersatzteile. „Wenn ich nicht der einzige wäre, würde ich ja eine Gewerkschaft gründen. Ich muss den Gürtel wirklich enger schnallen“, sagt Currier wiegt ein kleines Päckchen mit glitzernden Typenreihen in der Hand. „Ich versuche ein Geschäft aus dem zu machen, was ich liebe.“ Currier zeigt auf eine der Gravurmaschinen. „Das hier ist kein Projekt. Das ist mein Leben.“

Eine Alternative sieht er ohnehin nicht: „Sozialer Aufstieg, das war doch der amerikanische Traum, nicht wahr? Was ich in meinem Leben gesehen habe, war das exakte Gegenteil. Die Mittelklasse stürzt ab. Viele meiner Collegefreunde leben von Hilfsjobs. Ganz wenige verdienen Geld. Fast niemandem geht es gut.“ Er hingegen habe schon von der Lehre enorm profitiert, sie habe ihn erst zum Erwachsenen gemacht. „Rehak wurde wie ein Vater für mich. Jeder meiner Geschäftspartner ist mir wichtig.“ Bei Verhandlungen rede man über Qualität. Geld sei zweitrangig, das Produkt wichtiger als der Profit.

The Dale Guild Type Foundry
Die Dale Guild Macher, Dan, Theo und Micah


Inmitten einer Medienwelt, die unter dem digitalen Wandel ächzt, suchen Betriebe wie die Dale Guild und The Arm nach einer besseren, kleinen Wirtschaftswelt.

Überholte Technik, aber gute Qualität und nachvollziehbare Wertschöpfungsketten: Überall in den USA entstehen Geschäfte, die so unter den Slogans „Local“ und „Made in USA“ um Kunden werben.
Produkte herzustellen die profitabel sind und der Gesellschaft nützen – für Starökonom Michael E. Porter ist das das Management-Leitbild der Zukunft, das Credo seines 2011 erschienenen Buches „Creating Shared Value: Redefining Capitalism and the Role of the Corporation in Society“. Gehört haben davon wohl die wenigsten vergangenheitsbesessenen Williamsburger Vollbartträger. Aber im Kleinen probieren sie es schon mal aus.

Text im kostenpflichtigen Teil der FTD.

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