Interview mit Erik Spiekermann
Prof. Dr. h. c. Erik Spiekermann steht auf seiner Karte. Spiekermann unterhält Büros in London, Berlin und San Francisco, er doziert an der Uni Bremen. Der Deutsche wurde 1947 geboren und ist als Typograph bekannt geworden, er schuf u. a. die FF Meta. In Google findet man 132.000 Einträge über ihn, auf Wikipedia seine Bio.
von Hannes Grassegger
Der hagere Managertyp hat ultrakurze blonde Haare, trägt eine unauffällige Drahtbügelbrille und seinen Anzug selbstverständlich ohne Krawatte, gerüchteweise bevorzugt er eine flotte Fliege. In einem beinahe aberwitzigen Tempo schleudert er Slogans um sich, seine Mimik ist belebt, sogar wenn er nicht reden darf. Darauf wäre Lagerfeld sicher nicht neidisch, doch wie dieser ist Spiekerman eine erfolgreiche Diva. Er hat etwas sehr deutsches an sich, für ihn ist es keine Beleidigung Ingenieur genannt zu werden. Erik ist bissig, über Intuition im Grafikdesign streitet er sich am liebsten mit David Carson. Spiekermann weiss vieles und auf seinem ständig aktualisierten privaten Blog teilt er dies auch gerne mit. Erik der zähe Hund im Interview, spontan angefragt, direkt nach der Erstaufführung der Helvetica Dokumentation. 1056 Wörter in zehn Minuten, aufgepasst Studenten.
Herr Spiekermann, Wir arbeiten für SODA Magazin an einem Fanzine über die heutige Veranstaltung.
Soda Magazin? Was ist das? Ein Schweizer Magazin? Dürfen das Deutsche überhaupt lesen?
Sie sind extra für diesen Anlass in die Schweiz gekommen?
Ja. Erst habe ich Nein gesagt, und ein paar Tage später dann doch zugesagt. (Gerüchte lassen vermuten, dass er zusagte als er mitbekam, dass David Carson auch kommen würde)
Ihr Kommentar zum Helvetica Film?
Hat mir gut gefallen. Besser als ich dachte. Ein bisschen lang vielleicht, aber für uns ist so was nie zu lang, weil ich kenne natürlich alle Mitwirkenden, dass ist auch so’n Déjà-vu, ein paar Leute haben früher auch bei mir gearbeitet. Und vor allem den Alfred hab ich schon länger nicht gesehen. So 15 Jahre. Da hab ich mich riesig gefreut. Auch die Musik war klasse. Richtig gut. Ohne Musik wäre man eingeschlafen.
Ist das nicht seltsam? 90 Minuten Film - über einen Schrifttyp?
Finde ich überhaupt nicht. Hab auch schon mal einen gemacht, aber einen Kürzeren. 12 Minuten über Typographie. „Type O Mania“. War in den 80er Jahren.
Und was war der Disput während des Panels mit David Carson?
Ach, den machen wir seit Jahren. Wir sind einfach nicht der gleichen Meinung. Ich finde es kindisch Regeln zu brechen die man nicht kennt. Das kann doch jedes Baby. Ein zweijähriges Kind macht sich in die Hose. Das ist okay - es kennt die Regeln nicht. Wenn man sich mit Fünf in die Hosen macht - dann kriegt man auf die Ohren! Weil dann kennt man die Regel dass man sich nicht in die Hose scheissen darf. Eine Regel zu brechen die man kennt, das ist dann eine intellektuelle Leistung. Und das muss man absichtlich machen, dann ist man ein Rebell. Nichts gegen Talent und Emotionen. Aber man sollte es nicht als intellektuelle Leistung verkaufen. David hat unheimliches Talent, er hat ein Talent dass ich nicht habe, er ist ein digitaler Maler wie auch Neville Brody. Aber daraus sollte man keine Theorie entwickeln. David sollte das mit dem theoretisieren lassen. Der kann Prima gestalten, wozu braucht der eine Theorie? Für euch Journalisten? Ihr wollt immer Theorien hören! Dass war auch bei Neville so. Neville ist ein obergeiler Gestalter (Das fänden Norm jetzt funky), ich habe sehr viel mit ihm gearbeitet. Ich mache immer die Raster, und Neville haut so rein. Das kann der! Und dann hat ihn irgendwann die Presse gezwungen so ’ne Theorie zu entwickeln. „Warum Herr Brody? Warum?“ Daraufhin hat der angefangen so’ ne Scheisse zu erzählen, das ist schwachsinnig.
Es scheint zwei Lager im Grafikdesign zu geben. Die einen arbeiten eher rational, die anderen intuitiv. Wo stehen Sie?
Ich bin ja eher der Rationale. Wobei, eigentlich bin ich ein Zwitter. Ich bin ein rationaler Chaot, wenn es so was gibt. Deswegen kann ich beide Lager verstehen. Und Beide haben Recht. Streit lohnt sich gar nicht. Deswegen kann ich diese Holländer gut verstehen (Spiekermann meint Experimental Jet Set), die haben überhaupt keine Lust sich auf den Streit einzulassen. Die haben sich bewusst für Helvetica entschieden. Man darf so was nicht aus Faulheit konsumieren. Es ist wie mit McDonalds. Wenn man sich so ’n blödes Brötchen holt weil man kein Bock hat zu kochen, dann ist das doch Scheisse. Aber wenn man sagt „Oh, Ich liebe McDonalds“ Dann ist das Okay. So ist das auch mit Helvetica.
Kann sowieso jeder machen was er will. Es gibt soviel Kollegen die eigentlich nur tun was sie können, dann denken sie plötzlich sie müssten ’ne Theorie bauen, fangen an von Historie und so ’nem Scheiss zu reden. Sollen Sie doch einfach Ihr Maul halten. Es gibt genügend Theorien, muss doch nicht jeder eine haben.
Und Helvetica selber? Was halten sie von der Schrift?
Die Schrift ist grossartig. Damals war das besser als alles andere. Und sie ist auch besser als all die Clones die später kamen. Deswegen unterscheide ich ja zwischen der Schrift und der Haltung. Also Helvetica als Haltung ist eben sozialer Wohnungsbau, sozialdemokratisch, alles ausgewogen, alles Mittelmass. Das ist langweilig, es ist so: „weil man sich nicht kümmern mag“. Man geht nicht mehr zur Wahl, macht eigentlich gar nichts. Es ist so Couch Potatoe.
Als Schrift ist Sie zum Teil egal - und meistens Scheisse. (Also. Helvetica: grossartig, egal, scheisse)
Aber Helvetica ist eine Konstante, jeder hat einen Bezug zu ihr.
Genau. Das hat der Film wunderbar gezeigt. Ich meine dass mit den Trends sind sinuskurvenförmige Bewegungen, es kommt mal wieder so ’ne Schweizer Phase, dann eine amerikanische Welle usw. Die Helvetica aber die hält eben durch. Mal wird sie von oben gesehen, mal von unten. Sie ist wie der Grundton a auf 44khz. Ist das so? 44? Das ist wie wenn man die Sinuskurve kompressiert. Alles andere sind nur Modulationen.
Was denken Sie zum Bedeutungswandel denn diese Schrift erfahren hat? Einerseits bezeichnen Sie Helvetica als etwas Sozialdemokratisches, in Amerika hingegen steht Sie für Corporate Culture und Konservativität.
Ja das ist doch das gleiche! Gibt es da heute noch einen Unterschied?
Ich denke bei den Amerikanern hat dass einfach eine Weile gebraucht um aus ihren 19. Jahrhundert Dreckszeug raus zu kommen. Bei uns in Deutschland hingegen war ja alles kaputt. Helvetica war aufräumen, saubermachen. Bei den Amis war der ganze Dreck ja noch da. Und wenn man sich das anguckt, dann zeigt doch die Verwendung der Helvetica durch grosse Unternehmen auch einen inneren Wandel. Neu und klar! Als das dann aber alle anwandten, da war das dann nur noch uniform. Und das waren eben damals die Bösen. So Ende der 60er Jahre wollten die ganzen Unternehmen eben cool und modern und europäisch aussehen. Eigentlich waren dass aber doch irgendwie die gleichen Scheiss Buden wie vorher.
Wenn Sie sich einen Mensch vorstellen der Helvetica verkörpert, wie sähe dieser aus?
Darüber gibt es sogar ein Buch „Der Helvetica Mann“ von Klaus Hesse.
Ja also ich denke dass ist der Mann ohne Eigenschaften. Der Otto Normalverbraucher, der gewöhnliche Mann auf der Strasse. Der ist wohl so 1.78, ich bin 1.76, Konfektionsgrösse 50, immer so braungraue Sachen an, also nicht ganz schlecht. Aber es ist auf jeden Fall ein Mann. Ein Mann so im mittleren Alter, in meinem Alter (Spiekermann ist 1947 geboren). Als Helvetica raus kam war ich 10. Also in dem Jahr sind vier wichtige Sachen passiert.
Helvetica und Univers kamen raus, der Citroen DS und ich hab meine erste Druckmaschine gekriegt. Das find ich genauso wichtig wie den DS.
von Hannes Grassegger
Der hagere Managertyp hat ultrakurze blonde Haare, trägt eine unauffällige Drahtbügelbrille und seinen Anzug selbstverständlich ohne Krawatte, gerüchteweise bevorzugt er eine flotte Fliege. In einem beinahe aberwitzigen Tempo schleudert er Slogans um sich, seine Mimik ist belebt, sogar wenn er nicht reden darf. Darauf wäre Lagerfeld sicher nicht neidisch, doch wie dieser ist Spiekerman eine erfolgreiche Diva. Er hat etwas sehr deutsches an sich, für ihn ist es keine Beleidigung Ingenieur genannt zu werden. Erik ist bissig, über Intuition im Grafikdesign streitet er sich am liebsten mit David Carson. Spiekermann weiss vieles und auf seinem ständig aktualisierten privaten Blog teilt er dies auch gerne mit. Erik der zähe Hund im Interview, spontan angefragt, direkt nach der Erstaufführung der Helvetica Dokumentation. 1056 Wörter in zehn Minuten, aufgepasst Studenten.
Herr Spiekermann, Wir arbeiten für SODA Magazin an einem Fanzine über die heutige Veranstaltung.
Soda Magazin? Was ist das? Ein Schweizer Magazin? Dürfen das Deutsche überhaupt lesen?
Sie sind extra für diesen Anlass in die Schweiz gekommen?
Ja. Erst habe ich Nein gesagt, und ein paar Tage später dann doch zugesagt. (Gerüchte lassen vermuten, dass er zusagte als er mitbekam, dass David Carson auch kommen würde)
Ihr Kommentar zum Helvetica Film?
Hat mir gut gefallen. Besser als ich dachte. Ein bisschen lang vielleicht, aber für uns ist so was nie zu lang, weil ich kenne natürlich alle Mitwirkenden, dass ist auch so’n Déjà-vu, ein paar Leute haben früher auch bei mir gearbeitet. Und vor allem den Alfred hab ich schon länger nicht gesehen. So 15 Jahre. Da hab ich mich riesig gefreut. Auch die Musik war klasse. Richtig gut. Ohne Musik wäre man eingeschlafen.
Ist das nicht seltsam? 90 Minuten Film - über einen Schrifttyp?
Finde ich überhaupt nicht. Hab auch schon mal einen gemacht, aber einen Kürzeren. 12 Minuten über Typographie. „Type O Mania“. War in den 80er Jahren.
Und was war der Disput während des Panels mit David Carson?
Ach, den machen wir seit Jahren. Wir sind einfach nicht der gleichen Meinung. Ich finde es kindisch Regeln zu brechen die man nicht kennt. Das kann doch jedes Baby. Ein zweijähriges Kind macht sich in die Hose. Das ist okay - es kennt die Regeln nicht. Wenn man sich mit Fünf in die Hosen macht - dann kriegt man auf die Ohren! Weil dann kennt man die Regel dass man sich nicht in die Hose scheissen darf. Eine Regel zu brechen die man kennt, das ist dann eine intellektuelle Leistung. Und das muss man absichtlich machen, dann ist man ein Rebell. Nichts gegen Talent und Emotionen. Aber man sollte es nicht als intellektuelle Leistung verkaufen. David hat unheimliches Talent, er hat ein Talent dass ich nicht habe, er ist ein digitaler Maler wie auch Neville Brody. Aber daraus sollte man keine Theorie entwickeln. David sollte das mit dem theoretisieren lassen. Der kann Prima gestalten, wozu braucht der eine Theorie? Für euch Journalisten? Ihr wollt immer Theorien hören! Dass war auch bei Neville so. Neville ist ein obergeiler Gestalter (Das fänden Norm jetzt funky), ich habe sehr viel mit ihm gearbeitet. Ich mache immer die Raster, und Neville haut so rein. Das kann der! Und dann hat ihn irgendwann die Presse gezwungen so ’ne Theorie zu entwickeln. „Warum Herr Brody? Warum?“ Daraufhin hat der angefangen so’ ne Scheisse zu erzählen, das ist schwachsinnig.
Es scheint zwei Lager im Grafikdesign zu geben. Die einen arbeiten eher rational, die anderen intuitiv. Wo stehen Sie?
Ich bin ja eher der Rationale. Wobei, eigentlich bin ich ein Zwitter. Ich bin ein rationaler Chaot, wenn es so was gibt. Deswegen kann ich beide Lager verstehen. Und Beide haben Recht. Streit lohnt sich gar nicht. Deswegen kann ich diese Holländer gut verstehen (Spiekermann meint Experimental Jet Set), die haben überhaupt keine Lust sich auf den Streit einzulassen. Die haben sich bewusst für Helvetica entschieden. Man darf so was nicht aus Faulheit konsumieren. Es ist wie mit McDonalds. Wenn man sich so ’n blödes Brötchen holt weil man kein Bock hat zu kochen, dann ist das doch Scheisse. Aber wenn man sagt „Oh, Ich liebe McDonalds“ Dann ist das Okay. So ist das auch mit Helvetica.
Kann sowieso jeder machen was er will. Es gibt soviel Kollegen die eigentlich nur tun was sie können, dann denken sie plötzlich sie müssten ’ne Theorie bauen, fangen an von Historie und so ’nem Scheiss zu reden. Sollen Sie doch einfach Ihr Maul halten. Es gibt genügend Theorien, muss doch nicht jeder eine haben.
Und Helvetica selber? Was halten sie von der Schrift?
Die Schrift ist grossartig. Damals war das besser als alles andere. Und sie ist auch besser als all die Clones die später kamen. Deswegen unterscheide ich ja zwischen der Schrift und der Haltung. Also Helvetica als Haltung ist eben sozialer Wohnungsbau, sozialdemokratisch, alles ausgewogen, alles Mittelmass. Das ist langweilig, es ist so: „weil man sich nicht kümmern mag“. Man geht nicht mehr zur Wahl, macht eigentlich gar nichts. Es ist so Couch Potatoe.
Als Schrift ist Sie zum Teil egal - und meistens Scheisse. (Also. Helvetica: grossartig, egal, scheisse)
Aber Helvetica ist eine Konstante, jeder hat einen Bezug zu ihr.
Genau. Das hat der Film wunderbar gezeigt. Ich meine dass mit den Trends sind sinuskurvenförmige Bewegungen, es kommt mal wieder so ’ne Schweizer Phase, dann eine amerikanische Welle usw. Die Helvetica aber die hält eben durch. Mal wird sie von oben gesehen, mal von unten. Sie ist wie der Grundton a auf 44khz. Ist das so? 44? Das ist wie wenn man die Sinuskurve kompressiert. Alles andere sind nur Modulationen.
Was denken Sie zum Bedeutungswandel denn diese Schrift erfahren hat? Einerseits bezeichnen Sie Helvetica als etwas Sozialdemokratisches, in Amerika hingegen steht Sie für Corporate Culture und Konservativität.
Ja das ist doch das gleiche! Gibt es da heute noch einen Unterschied?
Ich denke bei den Amerikanern hat dass einfach eine Weile gebraucht um aus ihren 19. Jahrhundert Dreckszeug raus zu kommen. Bei uns in Deutschland hingegen war ja alles kaputt. Helvetica war aufräumen, saubermachen. Bei den Amis war der ganze Dreck ja noch da. Und wenn man sich das anguckt, dann zeigt doch die Verwendung der Helvetica durch grosse Unternehmen auch einen inneren Wandel. Neu und klar! Als das dann aber alle anwandten, da war das dann nur noch uniform. Und das waren eben damals die Bösen. So Ende der 60er Jahre wollten die ganzen Unternehmen eben cool und modern und europäisch aussehen. Eigentlich waren dass aber doch irgendwie die gleichen Scheiss Buden wie vorher.
Wenn Sie sich einen Mensch vorstellen der Helvetica verkörpert, wie sähe dieser aus?
Darüber gibt es sogar ein Buch „Der Helvetica Mann“ von Klaus Hesse.
Ja also ich denke dass ist der Mann ohne Eigenschaften. Der Otto Normalverbraucher, der gewöhnliche Mann auf der Strasse. Der ist wohl so 1.78, ich bin 1.76, Konfektionsgrösse 50, immer so braungraue Sachen an, also nicht ganz schlecht. Aber es ist auf jeden Fall ein Mann. Ein Mann so im mittleren Alter, in meinem Alter (Spiekermann ist 1947 geboren). Als Helvetica raus kam war ich 10. Also in dem Jahr sind vier wichtige Sachen passiert.
Helvetica und Univers kamen raus, der Citroen DS und ich hab meine erste Druckmaschine gekriegt. Das find ich genauso wichtig wie den DS.
hannes1 - 29. Mai, 19:30