Carson und Helvetica- Will this typeface last forever?

Ein Abend mit einem gewissen David Carson. Ein Typ der vom Surfmag zur Pepsi Werbung kam und über dessen Arbeiten sich Studenten streiten. Wäre ich er, würde ich am Strand leben und nur noch mit meinem Board rumplanschen. Doch Carson sucht Helvetica.

von Hannes Grassegger

Ich weiss nicht wer die Idee hatte uns ins „Le Lyonnais“ zu schleppen. Eine Paneldiskussion (Thema: Will this typeface last forever?), eine Plakatprämierung, eine Filmpremiere, alles drehte sich um die schöne „Schweizerin“ - und dann geht man ins „Lyonnais“. Vier Tafeln stehen bereit, weiss gedeckte Tische, die Speisekarte auf Deutsch und Französisch, an den Toiletten steht Messieurs und Mesdames. Das teure Restaurant der amerikanischen billig Kette „Best Western“ liefert ein fakes Klischee der französischen Jahrhundertwende. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen stilloseren Ort in der Nähe der HGKZ gibt, es muss sich um einen zynischen Scherz handeln.
Die separaten Tische haben automatisch Fraktionen kreiert. Uns gegenüber ist die VIP Ecke mit Verleger Lars Müller, Professor Erik Spiekermann, Filmmacher Gary Hustwitt und Alfred E. Hoffmann nebst Gemahlin. Nebenan die Young Professionals: Norm Crew mit Manuel Krebs, begleitet von der Inhaberin des Basler Lehrstuhls für Typographie, der deutschen Marion Fink. Rechts dinieren Iris von Soda und Company. Man parliert.
Ich hänge mit Karin, Nickname Play, unserer Porträtfotografin (die sich als Stylehunterin bezeichnet) einsam im Eck, unsere Tafel bleibt leer. Wir sind beide nicht so richtig locker. Irgendwie hatte ich immer Vorbehalte gegen Grafiker und gegen Celebrities sowieso. Blitzlicht, Cash und Oberfläche. Heute sitzen genau solche Leute zusammen, diesmal bin ich voll reingerutscht. Ein lockeres B2B Dinner mit Werbern, das Gegenteil von crazy. Mir ist eng zumute im schwitzigen Lyonnais, im kleinen Zürich, in der herzigen Schweiz.

Bis David Carson (I’m always late. Never exact, never been) den Raum betritt und sich zu uns gesellt. Die gelblich verputzten Wände, die grauschwarzen Marmor-Applikationen irritieren ihn. „It’s so tacky here, who chose this restaurant?“. Er lächelt, der Wein kommt und wir fangen an zu plaudern. Kennengelernt haben wir uns vor zwei Stunden, nach einer Paneldiskussion an der sich Carson mit Spiekermann eine kleine Schlacht lieferte. Nicht unspektakulär, zwei alte Topdogs im Zweikampf, sie kannten sich und wiederholten alte Argumente: „I don’t see much use in Helvetica“ meinte Carson dort, „but maybe if Erik could speak in Helvetica I would understand him“. In der Pause danach bat ich ihn uns jemanden zu zeigen der Helvetica verkörpern könnte.
Carson ist ein entspannter Tischnachbar, Lachfalten, braungebrannt, die Haare etwas länger. Er hat auffällig lange Fingernägel, fast wie ein Gitarrist. Jeans und Turnschuhe, dazu ein knitteriges Hemd, fertig ist die Abendgarderobe. Ich spüre die Nineties, Bill Clinton, Subkultur und meine Teeniezeit.
„Vorhin als ich nach Mister Helvetica fragte hast du auf mich gedeutet. Als ich dich dann nach einer Beschreibung fragte meintest du Mr. Helvetica sei grau, langweilig, ein bisschen overdressed und stumpf. Vielen Dank! Immerhin bin ich nicht bemüht underground.“
Wir lachen. So war das nicht gemeint, sagt er, „maybe it was because of your haircut“. „Kommt vom arabischen Friseur, ich verlange immer eine deutsche Frisur und warte was passiert“ entgegne ich. „I’d never let them do what they think is appropriate for an old guy like me. I tell them exactly what I want“ meint David.

Ich freue mich über diesen Typ. Er hat etwas an sich, dass dem Abend Perspektive gibt, ein Bilderbuch Ami der viel herumgekommen zu sein scheint und offen spricht. Wir müssen ihn unbedingt auf die Party mitnehmen meint Play, sehen was passiert.
Carson erzählt wie es überhaupt dazu kam dass er Designer wurde. Es war Stacy Peralta, legendärer Übervater der Powell-Peralta Skate Company, ein alter Freund, der ihn einst anrief um ihn zu fragen ob er nicht das soeben gegründete Transworld Skateboard Magazine gestalten wolle. „The first issue was fucking ugly, really shitty. They didn’t know how to go on, but they wanted to have this magazine. Something contrary to Thrasher Magazine, something not punky. They didn’t like their negative attitude. One day I sat with some friends from college, dining. Then there was this phone call from Stacy: Hey David, wouldn’t you like to design the second issue of Transworld? I said yes. Everything evolved from surfing.“ „Surfst du?“ frage ich, und denke na ja, wird wohl so ein Oldie sein der sich das in Kursen angelernt hat (David war Profi Surfer in den 70ern und wurde zu den 10 besten Surfern der Welt gerechnet, Schande über mein Haupt). „Well, I have this house in the West Indies, perfect swell out there. Anytime I can, I go there for surfing. Personally I prefer short boards.“

hesurfs

Ich fange an zu träumen. Ein Haus am Strand, morgens vom Balkon die Wellen checken, mittags kurz zum Office nach NYC ein paar Ideen rauslassen, Cash machen und ab zurück an den Beach, rein in die Brandung. Am Abend vielleicht mit Stacy Poolskaten. Carson hat zwar die „Drei Wetter Taft“ Frisur, sein Style ist aber echt. Doch eine Frau, die hat er nicht. Neben mir sitzt kein verbissener Karrierist der die „richtigen Connections“ gemacht hat, Carsons macht einfach was er gut findet. Eine Ausgabe von Transworld nannte er die „Cold Boring Issue“.
Ich habe in Berlin mal die Beastie Boys getroffen, genauso unverkrampfte Typen die niemandem mehr was beweisen müssen. Coolness ist nicht so einfach wenn alle etwas von dir wollen. Eine ganze Menge Grafiker würden sicher einiges dafür tun mit Carson Visitenkarten zu tauschen, ihm unverlangt Portfolios schicken und selbstgestaltete Geburtstagskarten. Von mir will niemand was, ich bin mittlerweile easy, auch Play entspannt sich zusehends, vielleicht liegt es am Wein, eher aber an David.
Irritiert betrachtet dieser die Karte, bis ich ihm empfehle doch traditionelle Schweizer Küche zu probieren. Das Essen kommt und David fällt die Kinnlade herunter. Ein grandioser Flop. Scheusslich, furchtbar und grauenerregend was da vor dem Ästhet aus Texas steht. Ein fettiges kleines Sauerkraut Matterhorn, begraben unter einem fahlen Haufen Fleisch, eine Berner Platte vom Traurigsten. Ich schäme mich. (Bild Play)

Mittlerweile hat sich ein älterer Herr zu uns gesellt, ein Schweizer wie gemalt; graue, korrekt geschnittene Haare, Tweed Jacket und Hemd. Es ist der Chef von Radio DRS, er zeigt reservierte Freundlichkeit und erzählt von einem Schlachtfest dass er jährlich bei sich veranstaltet. Erik Spiekermann hat ihn eingeladen, Carsons Kontrahent. Mir wird unwohl. Was mache ich hier, wie konnte ich Carson nur zu diesem Fleischhaufen raten. Zögernd sitzt dieser vor seinem unberührten Teller. „I ordered it. I have to eat it. It’s my fault. I will eat it. I don’t want to.“ Gemeinsam überreden wir den ausgehungert wirkenden Prediger intuitiver Gestaltung sich doch etwas anderes zu ordern. „Ok. Did you see what Erik had? I’d like to have the same - but please, don’t let him know!“ Wir lachen. Der Surfer will ein Steak.

Nach dem Essen steigt die Stimmung spürbar. Wir trinken weiter. Der DRS Chef ist bereits auf dem Heimweg und David erzählt von einem dreiwöchigen Lehrgang den er 1983 in der Schweiz belegte. Einst habe man ihn dann wieder geladen, nach Basel „but they didn’t want me to talk at the campus , because of my different ideology. They wanted to take me to some remote offspace. Finally I didn’t go.“ Die Schlacht um die theoretische Vorherrschaft in der Grafik wird mit harten Bandagen geführt, denke ich. Da taucht Spiekermann auf, der deutsche Professor, Meister der Theorie. Er ist im gehen und weist uns zurecht. „Hättet ihr in Amerika neben jemand geraucht der gerade isst hätte man euch schon lange erschossen.“ Ein seltsamer Moment, eine lange, seinerseits sehr herzliche Verabschiedung von Carson folgt. Ist das die Deutsch-Amerikanische Freundschaft? Der Amerikaner ist verwirrt. „No, they wouldn’t have shot you in America. And besides, who is this Spiekerman? What did he do for Graphicdesign? He’s just a businessman. Everytime they are planning a panel, they take him just because they don’t know anybody else from Germany. It’s like: South Africa – we take this guy, France? Him. Germany? Hmmm.. Ah! I know, let’s take Spiekermann. Alright next. He’s like a frustrated comedian to me.“ David ist in Fahrt. „Some years ago, I really expected german design to go big. I was working with those guys from tomatoe, and I saw that in Germany they had everything you need to make it. One day I told this to a friend of mine, but he said: Look David, they won’t get it. They don’t have this free spirit. He was right.“
Etwas später laden wir die Dozentin aus Basel zu uns, sie entpuppt sich als die Nachfolgerin des Lehrstuhlinhabers welcher Carson einst verbot am Campus zu sprechen. Die beiden verstehen sich prächtig, so schnell werden Gräben geschlossen. Pax Helvetica. Beide entschliessen sich zur Party zu kommen, wir nehmen uns ein Taxi und fahren gemeinsam. Im Auto wird gelacht, nicht nur Carson ist in Hochform. Wir haben Spass. Ich will Spass.
(Bild Play)
Ein paar flotte Smalltalks später treffe ich David an der Bar. „Where is the Basel woman?“ fragt er. Doch diese ist nirgends zu finden. „Ist es nicht einfacher eine Frau zu finden wenn man so lebt wie du?“ frage ich ihn. Er schüttelt den Kopf. „Cash und Fame ändern doch irgendwie gar nichts denke ich. Ihm geht’s genau wie mir.“ Carson sucht, Carson trinkt, Carson flucht. Etwas verloren steht er in der Menge, trinkt weiter und steht abseits. Beats hämmern, Werber labern. Man sieht es ihm an: Kein Grund zu bleiben. An diesem Abend ging alles um die schöne Schweizerin, und Helvetica ist weder „dull“ noch „grey“ noch „stiff“. David mag Helvetica.
Carson ist verschwunden, nicht mehr aufzufinden. Ich suche ausserhalb des Gebäudes, laufe das Maag Areal ab. Es ist kalt und still. Nur an der Bar liegt noch sein Geschenk, ein Buch über Schrifttypen. Ich mache mir Sorgen. Bizarrerweise logiert er im Hotel Walhalla, dort wo all die Götter wohnen. Doch auch am Sonntag keine Nachricht im Hotel. Walhalla ist nicht der Ort für David. David lebt. Und die schöne Schweizerin ist eine Deutsche. Wie sagte Spiekerman an der Paneldiskussion? „In fact we should call Helvetica Teutonica.“
Keine Sorge, am späten Sonntagnachmittag ist Carson im Walhalla aufgetaucht. Unansprechbar sei er gewesen munkelt man. Ich habe ihm sein Buch an der Rezeption hinterlegt. Mit einer CD. Ungefragt. Weil ich ihn mochte. Weil ich mal Skater war und Transworld las und all die Punks nicht mochte die sagten „Skate and Destroy“. Sein Buch über Grafik werde ich mir auch mal holen. Ist bestimmt gut. Bon Voyage, David. Surf it up.
Nur ein Tipp - du musst die Welle spüren.

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