Corporate Activism

Im Gespräch mit Simon Zadek

Ob bei der chinesischen Regierung, am World Economic Forum oder bei Konzernen wie Shell - Simon Zadek ist der Aktivist mit der Eintrittskarte. Seine Mission ist die Nachhaltigkeit. Das soziale und das ökologische in die Welt der Wirtschaft einzubringen. Und zwar ganz oben.

Begonnen hat Zadek ganz unten. 1993, als sich auf der ersten Rio-Konferenz die Diplomaten trafen, entwarf der frischpromovierte alternative Ökonom in einem schäbigen Gemeinschaftsbüro im Londoner East-End Sozialstandards. Die ersten Regeln, um Unternehmen in privater Initiative in die Nachhaltigkeit zu führen.

Es war die richtige Zeit. Schon bald rannten ihm Unternehmen auf der Flucht vor Ihren Kritikern die Tür ein. Shell, Néstlé, Nike, BP - Zadek arbeitete mit allen roten Tüchern der Umweltschutzbewegung. Heute erklärt er der chinesischen Regierung Green Growth, arbeitet mit chinesischen Behörden und Unternehmen an der Erstellung von Regeln zum sozialeren und ökologischeren Wirtschaften.

HG: Lassen Sie uns mit dem ersten grossen Gipfel zur Nachhaltigkeit beginnen. Der war noch recht politisch. Was hatte die erste Rio-Konferenz denn so mit Wirtschaft zu tun?

SZ: Die erste Rio Konferenz hatte noch gar keine Vorstellung von Business. Das Wort Green Growth gab es noch nicht. Aber: hier begann die Wirtschaft sich des Themas Nachhaltigkeit anzunehmen.

HG: Währenddessen sassen sie in einem kleinen Hinterhofbüro in London und wollten Unternehmensberater werden?

Was wir damals bei der New Economic Foundation (NEF) ausprobierten, war zum Nachhaltigkeits-Auditor für Unternehmen zu werden. Ökosoziale Prüfung war ein neuer Ansatz. Die Ersten, die zu uns kamen, waren Ben & Jerrys, Bodyshop – ikonische ethische Unternehmen der 1990er. Zusammen versuchten wir, herauszufinden wie man mit Standards Transparenz in Unternehmen erhöht, soziale Effekte misst...

HG: Plötzlich, 1995, gründeten Sie den weltweit ersten runden Tisch von Regierung, Unternehmen und Zivilgesellschaft zur „Moralisierung“ des Wirtschaftens, die „Ethical Trading Initiative“. Wie kam es zu diesem rasanten Aufstieg ihrer alternativen Ideen?

SZ: Es war als die Globalisierung anfing zu reifen. Mitte der 1990er hatten Aktivisten gelernt, wie man unter smartem Einsatz der Medien Kritik an Brands wie Nike üben konnten. Gleichzeitig war England Sitz vieler solcher Unternehmen – und ihrer Gegner, der NGOs. Das Land war traumatisiert durch den Schaden den Thatcher dem Gesellschaftsvertrag zugefügt hatte. Das kleine England wurde zum Labor. Weil das NEF und ich bereits mit kleinen Brands gearbeitet hatten um Sozialstandards und Messmethoden auszuprobieren, kontaktierten uns grössere Unternehmen, die damals vor der Herausforderung standen ihren Ruf zu wahren.

HG: Welches waren die ersten grossen Kunden?

SZ: BP kam wegen Casanares, Shell wegen Brent Spar. Und British Telecom, damals DAS „böse Unternehmen“ in England. 1998 wurden sie die drei ersten Unternehmen, die die Menschenrechte in ihre Richtlinien aufnahmen.

HG: Wie kam der Kontakt zustande?

SZ: Wir sassen einfach da – und die Firmenvertreter kamen zu uns. Es war der Beginn eines Zeitalters, in welchem die Markennamen von Firmen mehr Wert wurden als ihre restlichen Besitztümer. Dieser Wert war bedroht. Das war neu und die Unternehmen hatten keine Ahnung was für Instrumente ihnen helfen konnten.

HG: Mit was für Menschen hatten Sie da zu tun?

SZ: Beispielsweise John Brown, damals CEO von BP. Als bei dem in Casanares die Dinge schief liefen, konnte er es erst gar nicht glauben. Es war unfassbar: seine Firma Komplizin in Menschenrechtsverletzungen! Als er sah, dass es wirklich stimmte, dass sein Unternehmen in Morde verwickelt war, öffnete er sich total. Nicht einfach um sein Unternehmen zu schützen. Er war aufgerüttelt. Moralisch. Genauso Shell Vorstand Mark Moody-Stuart, oder Phil Knight von Nike. Das waren sehr moralische Menschen. Die sahen mehr als nur ihr Unternehmen.

HG: Phil Knight ein moralischer Mensch?

SZ: Nike war ein ganz junges Unternehmen. 25 Jahre alt. Keine einzige Führungskraft hatte je einen Gewerkschaftsvertreter ausserhalb der USA getroffen. Die hatten gar keine Ahnung. Dieses Unternehmen hat weltweite Wertschöpfungsketten quasi erfunden!

HG: Sie behaupten Nike sei naiv gewesen?

SZ: Für einen jungen Aktivisten würde das lächerlich klingen. Aber es stimmt. Nike wollte erfolgreich sein. Aber die wollten nicht Menschen schädigen. Die Konstellation aus Unternehmen und Kritikern erinnert daran, wie heute chinesische Unternehmen wahrgenommen werden im Westen. Die wollen auch Gewinne machen in anderen Ländern von denen sie wenig Ahnung haben. Genau wie mit Nike: Jedesmal wenn etwas bekannt wird, was die Chinesen falsch gemacht haben, folgt der Aufschrei: Uuh! Die sind böse, die kümmern sich nicht darum wie es Menschen geht. Wenn die Chinesen in Afrika produzieren, Rohstoffe abbauen, dann stehen sie auch, wie Nike damals, vor ganz neuen, unbekannten Situationen.

HG: Und dann kommt Herr Zadek und erzählt den chinesischen Unternehmern von Menschenrechten! Sie beraten mittlerweile auch in China.

SZ: Die meiste Zeit in China rede ich mit der Regierung. Das ist in China extrem wichtig dafür wie sich Unternehmen verhalten. Ich habe ein Jahr lang mit einer Unterabteilung des Wirtschaftsministeriums, dem „Chinese Council for International Cooperation in Environmental Development“ geprüft, wie die Regierung Richtlinien erlassen kann um das soziale und ökologische Verhalten chinesischer Unternehmen im Ausland zu verbessern.

HG: Warum kümmern sich die Chinesen überhaupt um Nachhaltigkeit?

SZ: Ich seh Gründe auf drei Ebenen. Jede Firma, die gross werden will, muss an ihren Markenwert denken. Zweitens: In den nächsten fünf bis acht Jahren will China als Staat im Ausland eine Billion Dollar in Unternehmen investieren. Das hat Premier Wen 2011 in Davos verkündet. Um komplikationsfrei Firmen kaufen zu können, braucht China eine funktionierende China Inc. Marke.

HG: Und die dritte Ebene?

SZ: Geopolitisch. Jede Supermacht muss Macht auf drei Ebenen entfalten. Militärisch, wirtschaftlich und moralisch. Die Amerikaner hatten Soft Power mit individueller Freiheit und so. Die Chinesen werden die erste Supermacht werden die Nachhaltigkeit ins Zentrum stellt. Nicht weil sie Priester sind. Sie brauchen eine moralische Story um zur Supermacht zu werden.

HG: Hat China keine wirkliche Moral?

SZ: Es ist ein komplizierter Mix verschiedener Gründe, Ziele, Personen. Zurück zu den Erfahrungen mit Phil Knight: Es ist nicht hilfreich zu fragen, ob man aus Moral oder aus Pragmatismus handelt. Hilfreich ist zu fragen: Hat es einen Effekt? Verändert es die Kultur der Unternehmung?

HG: Ein Beispiel?

SZ: Seit John Brown weg ist, wurde klar, dass er es nicht geschafft hat, seine sozialen und ökologischen Konzepte bei BP zu verankern. Während Mark Moody-Stuart sie bei Shell bis in die DNA des Unternehmens hineintrug.

HG: Néstlé hat während Ihrer Beratungszeit Aktivisten bespitzeln lassen. Schmerzt das?

SZ: Nein. Ist es gut? Nein. Überrascht es mich? Nein. Die interessantesten Unternehmen sind die, die zugleich in der Vergangenheit und der Zukunft leben. Sie sind komplett schizophren. Die Unternehmen mit den interessantesten Projekten, haben einen Fuss im Dreck und den Kopf in den Wolken. Das kann man nur mit Führungskraft managen. Als grosses Unternehmen gibt es Sachen, die will und sollte man lieber nicht tun. Aber man tut sie, weil man Geschäfte macht. Gleichzeitig kann man versuchen, etwas zu verändern.

HG: Wie wissen Sie eigentlich ob Sie überhaupt etwas erreicht haben?

SZ: Es ist völlig unklar in dieser Welt, welche Handlungen was auslösen.

HG: Sie als Spezialist für Standards müssen doch wissen, wie man Wirkung misst!

SZ: In den letzten 15 Jahren sind Umweltschutz und Nachhaltigkeit erstens Mainstream geworden. Zweitens ist vieles was wir propagierten, Bestandteil von Geschäftspraktiken, Gesetzgebung oder der öffentlichen Diskussion geworden: Sozialstandards in Unternehmen, Moral bei medizinischen Versuchen, Privatsphäre im Netz, hunderte solche Themen...

HG:...in der westlichen Welt...

SZ: Noch vor drei Jahren wäre es unmöglich gewesen, in Beijing eine Konferenz zum Thema Natur-Zerstörung in Afrika zu veranstalten. Letztes Jahr haben wir genau das getan. Fortschritt zu belegen ist einfach. Das wahre Problem ist: Der Fortschritt ist so klein im Verhältnis zum Problem, dass er selber zum Teil des Problems wird.

HG: Das verstehe ich nicht.

SZ: Wenn die kleinen positiven Veränderungen von Unternehmen oder Regierungen nur als Beleg genutzt werden, dass man ja „etwas tut“, dann wird der kleine Fortschritt zum Teil des Problem.

HG: Sie meinen Greenwashing.

SZ: Das Vereinnahmungs-Problem von jedem, der Veränderung will und mit „der Macht“ arbeitet lautet: Wie kann ich verhindern, dass die Sachen, die ich tue, Teil des Problems werden? Ob Sklavenbefreiung oder Frauenrechte: Es war stets diese Frage. Wie kommen wir zum echten Wandel. Und führen kleine Schritte dorthin – oder ins grosse Problem.

HG: Sie meinten kürzlich, dass uns grosse Problem bevorstehen.

SZ: Es ist eine sehr dunkle Zeit. Alles steht auf der Kippe. Die Spannungen wegen sozialer Ungleichheit wachsen, auch in Europa. Vor 60 Jahren wären wir in dieser Situation in den Krieg gezogen. Andererseits ist nun alles offen. Darum sind das Occupy Movement und der Arabische Frühling so wichtig. Heute sieht die Mittelklasse, dass die Zukunft schlecht aussieht. Das ist gut. Das gibt uns politischen Raum. Jetzt ist Wandel möglich. Es gab noch nie so einen grossartigen Moment in meinem Berufsleben.

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