«Krisenursache ist das Schuldenmachen»

Die Staatsregierungen haben die aktuelle Situation aus Angst vor der Ökonomie selbst verschuldet. Der renommierte deutsche Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe erklärt, wie die Staaten durch extreme Verschuldung handlungsunfähig wurden.

Interview: Hannes Grassegger

Sie sagen, wir befänden uns in einer neuartigen geschichtlichen Situation. Erleben wir momentan das Platzen einer weltweiten Staatsschuldenblase?

Es wurde vorhergesagt, aber nicht ernst genommen: Man hat die Folgen der letzten Krise mit erheblichem Schuldenaufwand bekämpft. Angesichts der Konjunkturlage der USA erkennt man jetzt, dass das Schuldenmachen nicht nur nicht geholfen hat, sondern selbst zur Krisenursache wird. Ähnlich in vielen Ländern der EU. Hier hat man zusätzlich mit staatlichen Schulden strukturelle Defizite überdeckt. Das geht jetzt angesichts der Verschuldung nur noch, wenn man die Staatsausgaben mit der Notenpresse deckt und Inflation in Kauf nimmt, wie das derzeit die EZB versucht. Aber das kann nicht funktionieren. Die Probleme bleiben.

Seit wann verschulden sich Staaten denn in diesem Ausmass?

Staatsbankrotte gab es schon früher, beispielsweise in Spanien im 16. oder in Sachsen im 18. Jahrhundert. Aber was wir derzeit erleben, hat damit wenig zu tun. Noch im 19. Jahrhundert hielt sich der Staat auch bei Wirtschaftskrisen weitgehend zurück. Im grossen Crash von 1873 gingen innert kürzester Zeit in New York sehr viele Banken pleite, sie halfen sich dann untereinander. Erst seit 1929, besser gesagt seit dem Keynesianismus, besteht die Illusion, der Staat könne durch richtiges Handeln Krisen verhindern. Das hat schon damals nicht geklappt, konnte sich aber im Aufschwung der Nachkriegszeit als Überzeugung festsetzen. Spätestens heute wissen wir, dass der Staat sich dabei so verschuldet, dass er schliesslich handlungsunfähig zu werden droht. Ohne im Übrigen zu helfen.

Warum sind wir an einem Endpunkt angelangt?

Was können Staaten noch machen? Eine Reregulierung der Weltwirtschaft, zurück in die 1950er, ist nicht mehr möglich in der globalisierten Welt. Geld in die Wirtschaft zu pumpen, erhöht die Schulden und die Zinslasten. Nüchtern gesagt: Man hat die staatlichen Geldhähne geöffnet und die Wirkung war gering. Jetzt bleibt im schlimmsten Fall nur noch die Notenpresse.

Sehen Sie keine historisch vergleichbare Situation?

Nein. Die Krise 2007 bis 2009 war die klassische Kombination von Spekulationsblase und Rezession. Danach versuchte man nicht nur, die Liquidität der Finanzmärkte zu garantieren, sondern auch einzelne Marktteilnehmer wie Banken und Versicherungen zu retten und schliesslich noch die Konjunktur anzukurbeln. Ohne grossen Erfolg. Statt dessen sind die Gläubiger der Staaten skeptischer, die Zinsen höher geworden. Das führte zum Ausbruch der Krise des Eurosystems. Das ist alles historisch ohne Vorbild.

Was ist der Kern dieser jetzigen Krise?


Derzeit haben wir keine Wirtschaftskrise, sondern die Krise eines politischen Systems, das sich ökonomisch übernommen und damit die Finanzmärkte ins Trudeln gebracht hat.

Also ist die Demokratie am Ende?
Nein, ich meine die Kombination der Vorstellungen «Der Staat kann das» und «Wenn der Staat es richtig macht, sind am Ende alle glücklich»; das sollte man ad acta legen. Das ist gefährlich.

Wie kam es zu dieser Vorstellung?
Es handelt sich im Kern um eine Selbstüberschätzung der Politik, die zum Teil vom Gleichgewichtsglauben in der Ökonomie gespeist wird. Neoklassiker und Keynesianer ähneln sich dabei, nur ihre Rezepte sind verschieden. Man will etwas korrigieren, ein angeblich mögliches Gleichgewicht herstellen und überhebt sich. Das hat mit Misstrauen zu tun: In der Politik neigt man dazu, die Ökonomie für gefährlich zu halten, und möchte sie an die Kette legen. Bizarres Resultat ist, dass der Staat quasi gegen die Märkte kämpft. Das läuft im Zweifel auf einen antikapitalistischen Putsch hinaus, wenn die Politik entscheidet, wer wirtschaftlich überlebt und wer nicht.

Kann man die jetzige Krise mit der von 1929 vergleichen?
1929 war etwas völlig anderes! Eine Verkettung unglücklicher Umstände, da es einzelne Ursachen nicht gab. Heute haben wir eine Kumulation völlig anderer Krisenfaktoren. Die Rezepte von damals sind nicht anwendbar.


Zu Prof. Dr. Werner Plumpe

Der 57-jährige Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Uni Frankfurt ist Vorsitzender des Verbandes der Historikerinnen und Historiker Deutschland und publizierte u. a. ein Standardwerk zu Wirtschaftskrisen.

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