Taxiwelt
Schiessereien, Armut, Freiheit und ein bisschen Afrika.
Zürichs Taxifahrer erzählen.
Von Hannes Grassegger (Text)
Vollbremsung. Direkt vor Judith Din rennt ein bewaffneter Mann über das Central. Die Beifahrertür ihres Taxis wird aufgerissen. Ein Polizist springt ins Auto, hält sich schmerzverzerrt den verletzten Fuss. „Hinterher!“, befiehlt er. Vorsichtig folgt Dins weinroter Toyota Previa dem Flüchtenden ins Niederdorf, auf dem Nebensitz hängt der Polizist ständig am Funkgerät. Plötzlich schiebt sich ein Kastenwagen vor den Bewaffneten und fängt ihn ab. Heute lacht Din über den Vorfall, „sowas hat fast jeder Zürcher Taxifahrer schon erlebt.“
Züritaxis, das sind die mit dem blauweissen Stadtwappen auf dem Taxischild. Die mit dem von der Stadt festgelegten Rund-um-die-Uhr-Tarif. 1471 Züritaxis gibt es derzeit. Nur Sie dürfen in der Stadt und von Zürich aus chauffieren.
Eine grosse Mehrheit der Zürcher Taxis sind angeschlossen an zentrale Rufnummern, Taxizentralen, die über Funk Aufträge vermitteln. In der Telefonzentrale der Taxi444 AG - Rufnummer 7 mal 4 – der grössten der Zürcher Taxizentralen, bearbeiten rund um die Uhr Telefonistinnen mit freundlichem Flöten Kundenanrufe. Sie sitzen an Schreibtischen mit mehreren Bildschirmen, Headset auf dem Kopf, Arbeitspläne hängen aus. Hier liegt Teppich statt Asphalt. Die Anzahl der ausgelösten Fahrten und der eingegangenen Anrufe zeigt ein Kontrollschirm an der Wand. Für die Damen sind Fahrer Nummern und Namen die in kleinen Windows aufpoppen. Ein Knopfdruck und ihr Computersystem sendet dem örtlich nächsten Fahrer eine Bestellung auf sein Empfangsgerät. So ein Angestelltendasein ist das Gegenteil dessen, was Judith Din die „Taxiwelt“ nennt.
Judiths Taxiwelt
Für die dreifache Mutter begann ein neues Leben, als sie 2003 den Job an den Nagel gehängt hat, um mit ihrem Minivan in die Zürcher Nacht zu ziehen. Die blonde 41-Jährige kennen alle Chauffeure als die „Ju“, die sich jahrelang in Verbänden für Anliegen der Zürcher Taxifahrer eingesetzt hat. Judith Din liebt es Teil einer Gemeinschaft zu sein und gleichzeitig unabhängig. Bei einer Zentrale ist die 41-jährige nicht mehr. Din hat Stammkunden, die auf ihrem Handy anrufen und Din steuert die öffentlichen der 250 Zürcher Taxiplätze an, am häufigsten am HB, Central, Rathaus oder Bellevue. Dort trifft Ju dann ihre Freunde, denn mit dem Sprung in die Nachtarbeit hat Din auch das Umfeld gewechselt. Und als Din ihren Mann, einen aus Marroko stammenden Zürcher Taxifahrer heiratete und den Namen Gmür ablegte, war ihr Wandel komplett. „Es ist mehr als ein Job. Für uns ist das die Taxiwelt.“
Nur 63 der 1655 Zürcher Chauffeure sind Frauen. Das Business ist hart und nicht besonders lukrativ. Zürich hat mit fast vier Fahrzeugen je Stadteinwohner im internationalen Vergleich eine überaus hohe Taxidichte. 75 Prozent der Fahrer kämpfen als selbstständige Kleinunternehmer um ihr Verdienst. Vier von zehn Fahrern sind Nicht-Schweizer, immer mehr davon Afrikaner, meist aus Ghana oder Nigeria. Auch wenn die Ortskenntnisse genau geprüft werden und mittlerweile ein kleiner Deutschtest obligatorisch ist - Taxifahrer wird man relativ leicht.
Judith Din hat sicher ein optimales Ausbildungsprofil. Zuerst lernte sie Autoersatzteilverkäuferin, dann diplomierte sie als Spielgruppenleiterin. Irgendwann hatte sie genug von ihrer Krabbelgruppe. Weil Ju schon einen Personenbeförderungsschein hatte, musste sie nur noch die Taxiprüfung ablegen. Hat man die bestanden, ist die Stadt verpflichtet, eine Bewilligung zu erteilen. Ein festgelegte Obergrenze an Züritaxis gibt es nicht.
Früher stand Din um sechs auf, heute legt sie sich um sieben schlafen. Sie liebt das Taxifahren: „Kein Job ist so frei wie dieser. Silvester ist fast mein einziger Pflichttag. Nachmittags habe ich Zeit für meine eigenen Kinder.“ Einzige grosse Sorge seien Radfahrer und Fussgänger. Doch Fahren an sich sei nur der kleinste Teil. „Es geht um das Zwischenmenschliche, den Service am Menschen“, meint Din. Heute betrachtet Ju das „echte Leben“ durch den Rückspiegel. Es sei wie eine TV-Serie. Denn im kleinen Zürich treffe man Kunden immer wieder. Einst, es war kalt und eisig, stürzte eine junge Kundin auf hohen Schuhen neben Jus Wagen. Ju raste los, die Ärzte im Unispital rissen ihr die Frau mit dem blutüberströmten Gesicht aus der Hand, Ju wusste nicht einmal deren Namen. Letztes Jahr stieg dieselbe junge Frau in Jus Taxi. Beide hätten sich wie Kinder gefreut. „Sie sah sehr gut aus. Die Schuhe hatte sie immer noch“. Irgendwann, denkt Ju, wird sie auch den Polizisten wiedertreffen, der damals zu ihr ins Auto sprang.
Miro will weiter
Miroslav Lasica ist ungeduldig. Geschlagene 90 Minuten braucht der ehemalige Profifussballer für 30 Meter. Vom Ende der Taxischlange am Central bis zum Anfang und dem ersten Kunden des Abends. Auch Lasica – „nenn mich Miro, das ist mein richtiger Name“ - hat drei Kinder und fährt ab halb sieben in die Nacht. Um erstmal anzustehen. Der Serbe bleibt dabei in seinem siebzehn Jahre alten Opel Omega. Miro liest ein Lehrbuch über internationales Arbeitsrecht. Taxifahrer langweilen ihn. Auch der Job sei intellektuell gar keine Herausforderung. Schlimmer noch, manchmal prügelten sich Fahrer mit auswärtigen Chauffeuren, die unerlaubterweise in Zürich „wischen“, also fahrend auf Kundenfang gehen würden.
Miro rutschte rein ins Taxibusiness. Nach einem Meniskusproblem beendete der serbische Einwanderer 1992 seine Fussballerkarriere in der Schweiz – er spielte bei Zug in der Nationalliga B –, jobbte als Kurierfahrer, Lastwagenfahrer, wurde Taxichauffeur. Seit 2006 ist er selbstständig. Mittlerweile träumt Miro davon auszusteigen und Anwalt zu werden. Der 51-jährige bereitet sich auf sein Jura-Diplom an der Universität seiner Heimatstadt Novi Sad vor.
Die besten Seiten des Chauffeurslebens erkennt er wieder im Anwaltsberuf: Unabhängigkeit, Kontrolle über das eigene Leben, die Kommunikation mit Menschen. „Jeder Kunde ist eine Beziehung.“, sagt Miro, „die Leute erzählen viel. Ich als Chauffeur versuche darauf einzugehen. Wenn ein Kunde seriös ist, bin ich seriös. Wenn ein Kunde fröhlich ist, bin ich fröhlich. Wenn eine Kundin traurig ist, verstehe ich sie.“ Die brisanten Fahrten, auf schnellstem Weg zu Bahnhof oder Flughafen, dass eine Frau nachts mal nicht genug Geld für den Heimweg habe, Miro versteht auch das. Aber der Familienvater erzählt von Nächten mit betrunkenen Kunden die er bis in die Wohnung trage, die auf der Fahrt wegdämmerten oder nicht mehr wüssten wohin. Er flucht über jene, die ohne zu zahlen verschwänden; über aggressive Provokateure, die Chauffeure piesackten; über Männer die ihn begrapscht hätten und Nutten, die versuchten, ihn in Naturalien zu zahlen. Dennoch fährt Lasica Nachts, weil er glaubt, so am meisten zu verdienen. Im schlimmsten Fall 140 Franken Umsatz. „Dann komme ich traurig nach Hause.“
Von 5.30 bis etwa 12.30 Uhr schläft Miro. Es folgen ein paar Stunden mit der Familie, anderthalb Stunden Training und weiter gehe es. Nur Sonntag sei Ruhetag. Seine Frau, eine Krankenschwester, sei traurig darüber, dass er oft weg sei. Doch: „Für meine Familie habe ich das durchgehalten.“
Gleich ist Miro dran. Ein Kunde eilt herbei. „Hoffentlich nicht nur für zwölf-fünfzig.“ Jedes Mal sei es wie Bingo. Jeder sei Tag anders. Die besten Zeiten seien die wechselhaften, regnerisch-kalten Herbstmonate bis Silvester. „Jede Fahrt ab 20 Franken ist eine gute Fahrt“, ruft Miro zum Abschied, „und arme Leute geben mehr Trinkgeld. Mehr Herz für Chauffeure!“
2000 bis maximal 6000 Franken verdienen Chauffeure im Monat. Ohne Fixum, ohne Grundlohn. Für Taxifahrer berechnet sich der Lohn als Prozentsatz des Umsatzes. Die erfolgreichsten Taxifahrer machen monatlich maximal 12000 Franken Umsatz, der Schnitt eher 8000, schlechte Monate bringen 4000. Übrig bleiben nach Abzug von Benzin, Reparaturen, Versicherung, Garage, Reinigung, Vorführgebühren und der jährlichen Betriebsabgabe von 780 für die Stadt noch etwa 50 Prozent. Wer bei einer Zentrale gemeldet ist, drückt pro Monat zudem fast einen Tausender fix ab und kriegt dafür neben den Kunden vom Taxistand und jenen, die auf dem Handy anrufen, noch die, die per Knopfdruck aus der Zentrale gesandt werden. Das Geld reicht nicht zum Stehenbleiben und nicht zum Abhauen. Nur zum Weiterfahren.
Chillout mit André
Sanft gleitet der burgundfarbene Chevrolet Caprice durch die Nacht. Innen roter Samt, entspannter Ambient-Sound, tiefe, weiche Sitze. André Böller ist es wichtig, dass man nicht hetzt. Und sich keine Sorgen macht.
Taxifahrer sind die Seefahrer des Stadtlebens und der 49-jährige André Böller steuert das Traumschiff. Den Amischlitten schlechthin, der Wagon-Car aus den alten amerikanischen Serien. Eigentlich wollte Böller zum Film. Aber er fing als Maurer an und wurde irgendwo auf dem Weg zum Taxifahrer. Etwa 1990. Der jung wirkende Endvierziger mit den graumelierten, zum Zopf gebundenen Haaren war schon immer der Nachttyp, allerdings der, der nicht trank oder Drogen nahm. Also der Heimfahrer. Weil sein Caprice - zugelassen für bis zu acht Personen - erst nach Mitternacht ablegt und bis in den tiefen Morgen gezielt Technoclubs wie Frieda's Büxe, das Hive oder das Loop ansteuert, kennen vor allem Clubgänger den Zweitonner. André hat Dutzende Stammkunden unter ihnen.
So kam es, eines Sonntagmorgens, nach einer erfolgreichen Party und einer desaströsen Afterhour, dass die Partyveranstalter von Cityfox noch mal spontan Skifahren gehen wollten. Man habe André morgens einfach angerufen, erinnert sich DJ Dejan von Cityfox und fünfhundert Franken ausgehandelt. Dafür chauffierte André der Captain die sechsköpfige Meute durch die ganze Stadt um das Skizeug einzusammeln, später bis nach Klosters. „Grossartig“, schwärmt Dejan von dem entspannten Trip. Oben am Berg lud die glückliche Gruppe André noch zum Fondue ein. Chillout.
An seinen freien Tagen, Montag und Dienstag jobbt der Single manchmal beim Film, für die Requisite, als Kameraassistent, beim Bühnenbild. André zeichnet gern, für sich und Freunde entwirft und baut er Möbel, es steckt ein Schöngeist in André Böller. Nur eine grosse Angst hat er: Gewalt. Einmal, in der Langstrasse schoss ein Irrer über die wartenden Taxis hinweg, die Polizei liess André nicht wegfahren, er zog den Kopf ein. Ein andermal half das nichts. An einer Ampel schlug ein betrunkener „Stiernacken“ mit der Faust direkt durch Andrés Fensterscheibe und brach ihm das Nasenbein. André mag die Langstrasse nicht mehr.
Safari-Session mit Martin
Ein Lebensweg mit vielen Kurven und Abzweigungen, das ist typisch für Taxifahrer. Jürg Huber, 53, Mitbegründer und jetziger Verkaufsleiter von Taxi444 erzählt, die Chauffeure kämen wirklich „aus allen möglichen Branchen“. Handwerker, Doktoren, Ungelernte. Jeder Fahrer sei ein „Einzelkämpfer“. Huber selber ist Elektromonteur, rutschte rein, „wie alle“. Er hat in 30 Jahren noch niemanden sagen hören, Taxifahrer sei sein Berufsziel.
Warum auch? Erstens ist das Geld ist knapp. Zweitens ist die Freiheit begrenzt. Die gesetzlich auf sechzig Wochenstunden begrenzte Arbeitszeit wählen Fahrer zwar stets frei. Pausen, so Huber, sollten sie allerdings machen, wenn der Rest der Welt arbeite. Und wenn die Anderen ausgingen, locke gutes Geschäft. Und „immer schönes Wetter“ sei das schlimmste. Fazit: „Das Leben der Taxifahrer ist diametral verschieden vom normalen Leben.“
Martin Peprah Asiamah hat sich lange drauf vorbereitet, Taxifahrer zu werden. Er ersparte sich nach seiner Einreise in die Schweiz 1990 erst als Elektromonteur in Fribourg und Glarus, dann am Airport Kloten als Kabinenreiniger sein Geld. Seit 2009 ist er Taxifahrer. Das ist sein Ding. Frei, unkontrolliert arbeiten, aufstehen, wann immer man wolle. Fahren, bis das Geld da sei. Und viel Konversation mit interessanten Menschen. Er wartet am liebsten am Hauptbahnhof, auf Kunden aus aller Welt. „Mein Jeep mit Zebrafellbezügen bringt Safari-Stimmung“, lacht der Ghanaer.
Peprah Asiamah gehört zur zunehmenden Zahl von Afrikanern im Zürcher Taxibusiness. Es gibt Fahrer, die darüber schimpfen, behaupten, Afrikaner würden keinen Service bieten und Deutsch nicht beherrschen. Martin sieht keine Unterschiede zwischen Afrikanern und anderen. Okay, sein Deutsch sei eher Minimum, das was er für die Prüfung erlernen musste, aber er beherrsche dafür Französisch und vor allem Englisch. Der überzeugte Christ sieht einen anderen Grund für die Streitereien. „Es ist, als würde man Hunden bei der Fütterung alles auf nur einen Teller schütten. Dann wird gebellt und gekämpft.“
Martin will einfach einen guten Job machen, Spass mit Kunden haben und am Ende jeden Monats seine Mutter und den drei Kindern, die in Ghana studieren, 1500 Franken überweisen können. Dann kommt noch die Rate für den Kredit, den er für seinen Toyota Rav4 aufgenommen hat. Und dann kommt er selbst. Dennoch, der 52-Jährige wirkt entspannt. Jahrzehnte nach seiner Auswanderung aus Ghana, wo er einst aufgebrochen ist, um eine Zukunft zu finden, hat er in Zürich etwas erreicht: „I have a private Enterprise.“ Willkommen in der Taxiwelt.
Zur
Züritipp Version
Zürichs Taxifahrer erzählen.
Von Hannes Grassegger (Text)
Vollbremsung. Direkt vor Judith Din rennt ein bewaffneter Mann über das Central. Die Beifahrertür ihres Taxis wird aufgerissen. Ein Polizist springt ins Auto, hält sich schmerzverzerrt den verletzten Fuss. „Hinterher!“, befiehlt er. Vorsichtig folgt Dins weinroter Toyota Previa dem Flüchtenden ins Niederdorf, auf dem Nebensitz hängt der Polizist ständig am Funkgerät. Plötzlich schiebt sich ein Kastenwagen vor den Bewaffneten und fängt ihn ab. Heute lacht Din über den Vorfall, „sowas hat fast jeder Zürcher Taxifahrer schon erlebt.“
Züritaxis, das sind die mit dem blauweissen Stadtwappen auf dem Taxischild. Die mit dem von der Stadt festgelegten Rund-um-die-Uhr-Tarif. 1471 Züritaxis gibt es derzeit. Nur Sie dürfen in der Stadt und von Zürich aus chauffieren.
Eine grosse Mehrheit der Zürcher Taxis sind angeschlossen an zentrale Rufnummern, Taxizentralen, die über Funk Aufträge vermitteln. In der Telefonzentrale der Taxi444 AG - Rufnummer 7 mal 4 – der grössten der Zürcher Taxizentralen, bearbeiten rund um die Uhr Telefonistinnen mit freundlichem Flöten Kundenanrufe. Sie sitzen an Schreibtischen mit mehreren Bildschirmen, Headset auf dem Kopf, Arbeitspläne hängen aus. Hier liegt Teppich statt Asphalt. Die Anzahl der ausgelösten Fahrten und der eingegangenen Anrufe zeigt ein Kontrollschirm an der Wand. Für die Damen sind Fahrer Nummern und Namen die in kleinen Windows aufpoppen. Ein Knopfdruck und ihr Computersystem sendet dem örtlich nächsten Fahrer eine Bestellung auf sein Empfangsgerät. So ein Angestelltendasein ist das Gegenteil dessen, was Judith Din die „Taxiwelt“ nennt.
Judiths Taxiwelt
Für die dreifache Mutter begann ein neues Leben, als sie 2003 den Job an den Nagel gehängt hat, um mit ihrem Minivan in die Zürcher Nacht zu ziehen. Die blonde 41-Jährige kennen alle Chauffeure als die „Ju“, die sich jahrelang in Verbänden für Anliegen der Zürcher Taxifahrer eingesetzt hat. Judith Din liebt es Teil einer Gemeinschaft zu sein und gleichzeitig unabhängig. Bei einer Zentrale ist die 41-jährige nicht mehr. Din hat Stammkunden, die auf ihrem Handy anrufen und Din steuert die öffentlichen der 250 Zürcher Taxiplätze an, am häufigsten am HB, Central, Rathaus oder Bellevue. Dort trifft Ju dann ihre Freunde, denn mit dem Sprung in die Nachtarbeit hat Din auch das Umfeld gewechselt. Und als Din ihren Mann, einen aus Marroko stammenden Zürcher Taxifahrer heiratete und den Namen Gmür ablegte, war ihr Wandel komplett. „Es ist mehr als ein Job. Für uns ist das die Taxiwelt.“
Nur 63 der 1655 Zürcher Chauffeure sind Frauen. Das Business ist hart und nicht besonders lukrativ. Zürich hat mit fast vier Fahrzeugen je Stadteinwohner im internationalen Vergleich eine überaus hohe Taxidichte. 75 Prozent der Fahrer kämpfen als selbstständige Kleinunternehmer um ihr Verdienst. Vier von zehn Fahrern sind Nicht-Schweizer, immer mehr davon Afrikaner, meist aus Ghana oder Nigeria. Auch wenn die Ortskenntnisse genau geprüft werden und mittlerweile ein kleiner Deutschtest obligatorisch ist - Taxifahrer wird man relativ leicht.
Judith Din hat sicher ein optimales Ausbildungsprofil. Zuerst lernte sie Autoersatzteilverkäuferin, dann diplomierte sie als Spielgruppenleiterin. Irgendwann hatte sie genug von ihrer Krabbelgruppe. Weil Ju schon einen Personenbeförderungsschein hatte, musste sie nur noch die Taxiprüfung ablegen. Hat man die bestanden, ist die Stadt verpflichtet, eine Bewilligung zu erteilen. Ein festgelegte Obergrenze an Züritaxis gibt es nicht.
Früher stand Din um sechs auf, heute legt sie sich um sieben schlafen. Sie liebt das Taxifahren: „Kein Job ist so frei wie dieser. Silvester ist fast mein einziger Pflichttag. Nachmittags habe ich Zeit für meine eigenen Kinder.“ Einzige grosse Sorge seien Radfahrer und Fussgänger. Doch Fahren an sich sei nur der kleinste Teil. „Es geht um das Zwischenmenschliche, den Service am Menschen“, meint Din. Heute betrachtet Ju das „echte Leben“ durch den Rückspiegel. Es sei wie eine TV-Serie. Denn im kleinen Zürich treffe man Kunden immer wieder. Einst, es war kalt und eisig, stürzte eine junge Kundin auf hohen Schuhen neben Jus Wagen. Ju raste los, die Ärzte im Unispital rissen ihr die Frau mit dem blutüberströmten Gesicht aus der Hand, Ju wusste nicht einmal deren Namen. Letztes Jahr stieg dieselbe junge Frau in Jus Taxi. Beide hätten sich wie Kinder gefreut. „Sie sah sehr gut aus. Die Schuhe hatte sie immer noch“. Irgendwann, denkt Ju, wird sie auch den Polizisten wiedertreffen, der damals zu ihr ins Auto sprang.
Miro will weiter
Miroslav Lasica ist ungeduldig. Geschlagene 90 Minuten braucht der ehemalige Profifussballer für 30 Meter. Vom Ende der Taxischlange am Central bis zum Anfang und dem ersten Kunden des Abends. Auch Lasica – „nenn mich Miro, das ist mein richtiger Name“ - hat drei Kinder und fährt ab halb sieben in die Nacht. Um erstmal anzustehen. Der Serbe bleibt dabei in seinem siebzehn Jahre alten Opel Omega. Miro liest ein Lehrbuch über internationales Arbeitsrecht. Taxifahrer langweilen ihn. Auch der Job sei intellektuell gar keine Herausforderung. Schlimmer noch, manchmal prügelten sich Fahrer mit auswärtigen Chauffeuren, die unerlaubterweise in Zürich „wischen“, also fahrend auf Kundenfang gehen würden.
Miro rutschte rein ins Taxibusiness. Nach einem Meniskusproblem beendete der serbische Einwanderer 1992 seine Fussballerkarriere in der Schweiz – er spielte bei Zug in der Nationalliga B –, jobbte als Kurierfahrer, Lastwagenfahrer, wurde Taxichauffeur. Seit 2006 ist er selbstständig. Mittlerweile träumt Miro davon auszusteigen und Anwalt zu werden. Der 51-jährige bereitet sich auf sein Jura-Diplom an der Universität seiner Heimatstadt Novi Sad vor.
Die besten Seiten des Chauffeurslebens erkennt er wieder im Anwaltsberuf: Unabhängigkeit, Kontrolle über das eigene Leben, die Kommunikation mit Menschen. „Jeder Kunde ist eine Beziehung.“, sagt Miro, „die Leute erzählen viel. Ich als Chauffeur versuche darauf einzugehen. Wenn ein Kunde seriös ist, bin ich seriös. Wenn ein Kunde fröhlich ist, bin ich fröhlich. Wenn eine Kundin traurig ist, verstehe ich sie.“ Die brisanten Fahrten, auf schnellstem Weg zu Bahnhof oder Flughafen, dass eine Frau nachts mal nicht genug Geld für den Heimweg habe, Miro versteht auch das. Aber der Familienvater erzählt von Nächten mit betrunkenen Kunden die er bis in die Wohnung trage, die auf der Fahrt wegdämmerten oder nicht mehr wüssten wohin. Er flucht über jene, die ohne zu zahlen verschwänden; über aggressive Provokateure, die Chauffeure piesackten; über Männer die ihn begrapscht hätten und Nutten, die versuchten, ihn in Naturalien zu zahlen. Dennoch fährt Lasica Nachts, weil er glaubt, so am meisten zu verdienen. Im schlimmsten Fall 140 Franken Umsatz. „Dann komme ich traurig nach Hause.“
Von 5.30 bis etwa 12.30 Uhr schläft Miro. Es folgen ein paar Stunden mit der Familie, anderthalb Stunden Training und weiter gehe es. Nur Sonntag sei Ruhetag. Seine Frau, eine Krankenschwester, sei traurig darüber, dass er oft weg sei. Doch: „Für meine Familie habe ich das durchgehalten.“
Gleich ist Miro dran. Ein Kunde eilt herbei. „Hoffentlich nicht nur für zwölf-fünfzig.“ Jedes Mal sei es wie Bingo. Jeder sei Tag anders. Die besten Zeiten seien die wechselhaften, regnerisch-kalten Herbstmonate bis Silvester. „Jede Fahrt ab 20 Franken ist eine gute Fahrt“, ruft Miro zum Abschied, „und arme Leute geben mehr Trinkgeld. Mehr Herz für Chauffeure!“
2000 bis maximal 6000 Franken verdienen Chauffeure im Monat. Ohne Fixum, ohne Grundlohn. Für Taxifahrer berechnet sich der Lohn als Prozentsatz des Umsatzes. Die erfolgreichsten Taxifahrer machen monatlich maximal 12000 Franken Umsatz, der Schnitt eher 8000, schlechte Monate bringen 4000. Übrig bleiben nach Abzug von Benzin, Reparaturen, Versicherung, Garage, Reinigung, Vorführgebühren und der jährlichen Betriebsabgabe von 780 für die Stadt noch etwa 50 Prozent. Wer bei einer Zentrale gemeldet ist, drückt pro Monat zudem fast einen Tausender fix ab und kriegt dafür neben den Kunden vom Taxistand und jenen, die auf dem Handy anrufen, noch die, die per Knopfdruck aus der Zentrale gesandt werden. Das Geld reicht nicht zum Stehenbleiben und nicht zum Abhauen. Nur zum Weiterfahren.
Chillout mit André
Sanft gleitet der burgundfarbene Chevrolet Caprice durch die Nacht. Innen roter Samt, entspannter Ambient-Sound, tiefe, weiche Sitze. André Böller ist es wichtig, dass man nicht hetzt. Und sich keine Sorgen macht.
Taxifahrer sind die Seefahrer des Stadtlebens und der 49-jährige André Böller steuert das Traumschiff. Den Amischlitten schlechthin, der Wagon-Car aus den alten amerikanischen Serien. Eigentlich wollte Böller zum Film. Aber er fing als Maurer an und wurde irgendwo auf dem Weg zum Taxifahrer. Etwa 1990. Der jung wirkende Endvierziger mit den graumelierten, zum Zopf gebundenen Haaren war schon immer der Nachttyp, allerdings der, der nicht trank oder Drogen nahm. Also der Heimfahrer. Weil sein Caprice - zugelassen für bis zu acht Personen - erst nach Mitternacht ablegt und bis in den tiefen Morgen gezielt Technoclubs wie Frieda's Büxe, das Hive oder das Loop ansteuert, kennen vor allem Clubgänger den Zweitonner. André hat Dutzende Stammkunden unter ihnen.
So kam es, eines Sonntagmorgens, nach einer erfolgreichen Party und einer desaströsen Afterhour, dass die Partyveranstalter von Cityfox noch mal spontan Skifahren gehen wollten. Man habe André morgens einfach angerufen, erinnert sich DJ Dejan von Cityfox und fünfhundert Franken ausgehandelt. Dafür chauffierte André der Captain die sechsköpfige Meute durch die ganze Stadt um das Skizeug einzusammeln, später bis nach Klosters. „Grossartig“, schwärmt Dejan von dem entspannten Trip. Oben am Berg lud die glückliche Gruppe André noch zum Fondue ein. Chillout.
An seinen freien Tagen, Montag und Dienstag jobbt der Single manchmal beim Film, für die Requisite, als Kameraassistent, beim Bühnenbild. André zeichnet gern, für sich und Freunde entwirft und baut er Möbel, es steckt ein Schöngeist in André Böller. Nur eine grosse Angst hat er: Gewalt. Einmal, in der Langstrasse schoss ein Irrer über die wartenden Taxis hinweg, die Polizei liess André nicht wegfahren, er zog den Kopf ein. Ein andermal half das nichts. An einer Ampel schlug ein betrunkener „Stiernacken“ mit der Faust direkt durch Andrés Fensterscheibe und brach ihm das Nasenbein. André mag die Langstrasse nicht mehr.
Safari-Session mit Martin
Ein Lebensweg mit vielen Kurven und Abzweigungen, das ist typisch für Taxifahrer. Jürg Huber, 53, Mitbegründer und jetziger Verkaufsleiter von Taxi444 erzählt, die Chauffeure kämen wirklich „aus allen möglichen Branchen“. Handwerker, Doktoren, Ungelernte. Jeder Fahrer sei ein „Einzelkämpfer“. Huber selber ist Elektromonteur, rutschte rein, „wie alle“. Er hat in 30 Jahren noch niemanden sagen hören, Taxifahrer sei sein Berufsziel.
Warum auch? Erstens ist das Geld ist knapp. Zweitens ist die Freiheit begrenzt. Die gesetzlich auf sechzig Wochenstunden begrenzte Arbeitszeit wählen Fahrer zwar stets frei. Pausen, so Huber, sollten sie allerdings machen, wenn der Rest der Welt arbeite. Und wenn die Anderen ausgingen, locke gutes Geschäft. Und „immer schönes Wetter“ sei das schlimmste. Fazit: „Das Leben der Taxifahrer ist diametral verschieden vom normalen Leben.“
Martin Peprah Asiamah hat sich lange drauf vorbereitet, Taxifahrer zu werden. Er ersparte sich nach seiner Einreise in die Schweiz 1990 erst als Elektromonteur in Fribourg und Glarus, dann am Airport Kloten als Kabinenreiniger sein Geld. Seit 2009 ist er Taxifahrer. Das ist sein Ding. Frei, unkontrolliert arbeiten, aufstehen, wann immer man wolle. Fahren, bis das Geld da sei. Und viel Konversation mit interessanten Menschen. Er wartet am liebsten am Hauptbahnhof, auf Kunden aus aller Welt. „Mein Jeep mit Zebrafellbezügen bringt Safari-Stimmung“, lacht der Ghanaer.
Peprah Asiamah gehört zur zunehmenden Zahl von Afrikanern im Zürcher Taxibusiness. Es gibt Fahrer, die darüber schimpfen, behaupten, Afrikaner würden keinen Service bieten und Deutsch nicht beherrschen. Martin sieht keine Unterschiede zwischen Afrikanern und anderen. Okay, sein Deutsch sei eher Minimum, das was er für die Prüfung erlernen musste, aber er beherrsche dafür Französisch und vor allem Englisch. Der überzeugte Christ sieht einen anderen Grund für die Streitereien. „Es ist, als würde man Hunden bei der Fütterung alles auf nur einen Teller schütten. Dann wird gebellt und gekämpft.“
Martin will einfach einen guten Job machen, Spass mit Kunden haben und am Ende jeden Monats seine Mutter und den drei Kindern, die in Ghana studieren, 1500 Franken überweisen können. Dann kommt noch die Rate für den Kredit, den er für seinen Toyota Rav4 aufgenommen hat. Und dann kommt er selbst. Dennoch, der 52-Jährige wirkt entspannt. Jahrzehnte nach seiner Auswanderung aus Ghana, wo er einst aufgebrochen ist, um eine Zukunft zu finden, hat er in Zürich etwas erreicht: „I have a private Enterprise.“ Willkommen in der Taxiwelt.
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hannes1 - 31. Mär, 18:15