Wie darf man sein Geld nicht anlegen?

Michael Diaz ist ein CEO der anderen Art. Den Absolventen des Nachdiplomstudiengangs für angewandte Ethik an der Universität Zürich bewegt die Frage, ob und wie Moral und Markt zusammengehen.

Von Hannes Grassegger

Mitten im Interview, Feierabends um acht im Restaurant in der Universitätsstrasse, etwas oberhalb der ETH, wo es nach Pilzrahmsauce duftet und Weingläser klirren, entschuldigt sich Michael Diaz, um ein Geschäftsgespräch zu führen. „Ein Telefonat“, sagt er dazu entschuldigend. Denn der 38-jährige mit seinen halblangen blonden Strähnen, dem verschmitzt wirkenden Gesichtsausdruck, als ob er stets fröhlich zweifle, ist kein CEO, der „Calls“ führt. Und die Rating-Agentur, die er als stellvertretender Geschäftsführer führt, bewertet Unternehmen auch nicht nach Marktwerten. Sondern nach ethischen Grundsätzen. Nach Werten. Vor etwas über zwei Jahren erlangte Michael Diaz im Nachdiplomstudiengang der Universität Zürich den Master of Arts in Applied Ethics. Diaz ist ein CEO der Ethik studiert hat.

Gleichzeitig ist der gebürtige Aargauer auch ein waschechter BWLer, der sich bereits am Wirtschaftsgymnasium in Baden entschied, Wirtschaft zu studieren. Gute Jobchancen, guter Verdienst, vielleicht noch ein spannender, abwechslungsreicher Job, das seien seine Motive für ein BWL Studium gewesen. An der Uni Zürich gefiel es ihm von Beginn an. „Coole Kommilitonen“, eine gute Zeit – die er öfter mal in den hintersten Reihen verbrachte, beim Gameboy-spielen. Bis Diaz in den Vorlesungen auf einen Widerspruch stiess: Wie kann man in den Vorlesungen Werte hochhalten und gleichzeitig Gewinnstreben lehren? Oder: Wie könne ein Investmentbanker tagsüber schonungslos Profit suchen, am Feierabend gemeinnützige Arbeit leisten und dann „Integrität“ versprechen?

Es packte Diaz. „Können Markt und Moral zusammenpassen? Und wenn, dann wie?“. Die Frage fasziniere ihn seither. Warum, weiss er nicht: „Ich bin nicht besonders religiös, kein Gerechtigkeitsfanatiker und kein Moralapostel, auch meine Jugend war recht unspektakulär.“ Es sei ihm vielleicht eingeimpft, zweifelt er, lächelnd. Ob kulturelles Interesse Diaz führte? Als Jugendlicher habe er gerne Comics gezeichnet und Punk gehört, erzählt der Investmentberater nebenbei. Er wollte Grafiker werden, versuchte, in den gestalterischen Vorkurs der Kunsthochschule zu kommen. Doch Betriebswirtschaftslehre sei eigentlich vielschichtig. Der Zürcher BWL-Ansatz nach Prof. Rühli gehe auf Fragen der Kultur von Unternehmen ein. Von dort zur Ethik war es nur noch „ein kleiner Sprung“ für Diaz.

Die Frage der „Integrität“, des inneren Konfliktes zwischen Gewinnstreben und persönlicher moralischer Haltung verhandelten Mitte der 1990er Vertreter der theologischen Fakultät mit dem Bankeninstitut in raren, wirtschaftsethischen Seminaren unter dem jungen Prof. Thommen. Diaz aber wollte den scheinbaren Konflikt zwischen Markt und Moral praktisch lösen. Ihn interessierte das „Wie“. In seiner Diplomarbeit untersuchte er die Nützlichkeit von Ethikkodizes in Grossunternehmen. Ethikkodizes sind Guidelines für das richtige Verhalten in schwierigen Situationen.

Darf man in Kernkraft investieren?

Schwierig wurde es für Diaz 2004, drei Jahre nach Studienende. Der Lic. Oec. wurde Nachhaltigkeits-Analyst bei der Bewertungsagentur Inrate. Zu Inrate kommen Banken wie Raiffeisen und Vontobel, Investoren wie Pictet und Ethos mit einer Frage: Wie darf ich mein Geld nicht anlegen? Inrate Kunden wollen Profit und dabei soziale oder ökologische Konzepte beachten. Von Diaz wünschten sie sich anwendbare Regeln für die Investitionsentscheidung. Doch wie erklärt man Anlegern, dass sie auf diese oder jene Gewinnchance verzichten müssen? Hart arbeitete Diaz an Ausschlusskriterien und deren Rechtfertigung: „Darf jemand, der die Menschenrechte achten will, in Google investieren, obwohl Google in China tätig ist, dort Suchergebnisse zensiert werden? Darf man in Unternehmen investieren, die Kernkraft fördern? Wenn ja, warum?“

Auch wenn Diaz persönlich Kernkraft ablehnt - seine wirtschaftsethischen Aufgaben verlangten ein tieferes Wissen, als die Management-Ausbildung es ihm verschafft hatte. Unterstützt durch seinen Arbeitgeber begann der damals 34-jährige 2006 das Nachdiplom-Studiengang zum Master of Advanced Studies in Applied Ethics an der Universität Zürich.

Wissen schafft Moral

In vier Semester eröffnete sich Diaz eine Welt an moralischen Perspektiven. Der Ökonom erlernte die verschiedensten moralischen Konzepte, und auch, sie mit Dozenten und Kommilitonen, darunter Mediziner und Unternehmensberater, zu diskutieren. Diaz wurde beigebracht, moralische Probleme zu erkennen, aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu argumentieren - stets auf der Suche nach dem besseren Argument. Bei BWL hingegen sei es um die Frage der Zielerreichung mit dem optimalen Mitteleinsatz, um Effizienz und Effektivität, gegangen. Aus dem Studium nahm Diaz neben der Fähigkeit zu argumentieren die Erkenntnis, dass die moralisch richtige Investitionsentscheidung darauf beruhe, Wissen über Tatsachen zu haben. Im Fall Google könne alles davon abhängen, ob Google selber in China Suchergebnisse zensiere – oder der Staat.

Dutzende Analysten sammeln jetzt für Inrate Informationen über tausende Unternehmen. In hoher Geschwindigkeit sollen sie Diaz Fakten liefern. Das sei kein Debattierklub. Oft sehe er sich von Aussen, im Umgang mit Mitarbeitern und Kunden und frage sich: „Verhalte ich mich richtig?“ Immer wieder geht es ihm um seine Frage: Profit und Moral. „Die Spannung an dieser Grenze, das ist eine wunderschöne Sache“, findet Diaz, „es geht um Werte.“ Gemeinnützige Arbeit leiste er übrigens nicht am Feierabend. Diaz fährt Motorrad. Und ÖV.

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