Die Zeit

Montag, 30. Mai 2016

DIE ZEIT

Grassegger Zeit DAO

Hier online (und meistgelesener Artikel am 26. Mai) - mein Text über die erste menschenfreie Unternehmung der Welt, die D.A.O., gebaut auf Ether.

Ein Unternehmen nur aus Code, das in nur vier Wochen 130 Millionen Dollar von anonymen Investoren gesammelt hat.

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Montag, 10. August 2015

ZEIT: UNIQLO - Kleidung als Tool

Kleidung als Werkzeug


Ein Japaner ist dabei, H&M und Zara zu überrunden: Uniqlo wächst schneller als Google. Mit Bekleidung, die nicht modisch sein will. Und genau darum so erfolgreich ist. von Hannes Grassegger


Mitten in Tokio, zwischen den Wolkenkratzern, den Leuchtreklamen und den engen Straßen, steht ein Haus mit einem privaten Golfplatz. Das ist das Zuhause des reichsten Mannes Japans, Tadashi Yanai. Ein kurzgewachsener Herr mit einem großen Traum: Sein Kleiderimperium Fast Retailing soll das größte der Welt werden und in den kommenden fünf Jahren H&M und die Zara-Mutterfirma Inditex vom Thron stoßen. Das Flaggschiff, Yanais Kleidermarke Uniqlo, soll der erste globale asiatische Lifestyle-Brand überhaupt werden.

Im vergangenen Jahr eröffnete Uniqlo an der Berliner Tauentzienstraße, direkt an der Ecke zu Deutschlands prominentester Einkaufsmeile, dem Ku’damm, seine erste deutsche Filiale. Glas und Stahl, über dem Eingang ein rotes japanisches Logo. Klar, effizient und offensiv wirkt das, irgendwo zwischen Apple Store und Ikea. Offene Regale lassen den Laden als begehbares Lager erkennen.

Uniqlo lebt vom Verkauf schlichter Basics, dem Fundament jeder Garderobe. Vor allem einfarbige Shirts, Jeans, Pullover, meist zwischen 10 und 30 Euro, fast nichts über 100 Euro findet sich. Kleidung für den Alltag, plus technischere Stücke wie Fleece- oder filigrane Daunen-Synthetik-Jacken. Wenn der Marketingbegriff Normcore irgendwo zutrifft, dann hier. Uniqlo ist so einheitlich wie Ikea-Mobiliar.

Doch das Geschäft brummt, und zwar wahnsinnig. Uniqlo wächst weltweit schneller als Google. Uniqlo Europa, noch ein kleiner Außenposten in Yanais Reich, bilanziert seit Jahren ein Umsatzwachstum zwischen 60 und 80 Prozent. In Berlin soll bald eine zweite Filiale nahe des Potsdamer Platzes öffnen. In Paris hat man sich gegenüber dem Nationalheiligtum Opéra positioniert, in New York in Manhattans legendärer 5th Avenue.
Asiatisch muss nicht Trash bedeuten

Dass der Shop am Tauentzien zuvor Nike Town beherbergte, steht symbolisch für Yanais aktuelles Etappenziel: Amerika erobern. In den USA tobe ein "Normcore War", titelte das Wirtschaftsmedium Quartz dazu, wie Uniqlo derzeit Gap, den früheren US-Branchenführer für Alltagskleidung, vom Platz fegt. Während die Japaner im Eiltempo mehr als 50 US-Filialen eröffnen wollen, verkündet Gap die Schließung von mehr als 150 Shops.

Sogar der einst so gehypte kalifornische Kleiderhersteller American Apparel, der mit US-Produktion, modischem Appeal und (fast) nackten Teen-Girls die Gap-Käufer zu gewinnen versucht hatte, kam dagegen nicht an. Das Geschäft schwächelt. Uniqlo hingegen präsentiert neue Kollektionen oft an Schaufensterpuppen und Kleiderständern im Lagerhallen-Ambiente. Für Werbungen lächeln lokale Promis freundlich. Uniqlo ist super clean.

Selbst in China und Südkorea – die aufgrund bis heute unentschuldigter japanischer Kriegsverbrechen schwierige Märkte für Japaner sind – wurde Uniqlo Marktführer. Nichts, wirklich nichts, scheint unmöglich für Yanai. So geht das, seit er 1984 den Kleiderladen seines Vaters übernahm. Heute haben acht von zehn Japanern mindestens ein Teil von Uniqlo am Körper, egal zu welcher Tageszeit.

Die Expansion von Uniqlo zeigt, wie das asiatische Zeitalter funktionieren könnte. Alles basiert darauf, dass Yanai gelernt hat, den Charakter der zwei stärksten Wirtschaftsnationen Asiens für sich zu nutzen: Fast von Beginn an produzierte Yanai hauptsächlich im Niedriglohnland China – aber für den japanischen Markt. Er lernte so, Billigprodukte herzustellen, die den hohen Ansprüchen der qualitätsorientierten Japaner genügten, welche seit den 1990ern unter zunehmender Geldknappheit litten.

Die Botschaft: Asiatisch muss nicht Trash bedeuten. Und auch nicht menschenverachtendere Produktion. Im Vergleich zur Konkurrenz verfügt Uniqlo über wenige Zulieferer, mit denen langfristigere Vereinbarungen getroffen werden. Sie werden zur Qualitätssicherung relativ stark kontrolliert – was nebenbei hilft, Arbeitsbedingungen zu kontrollieren.

Die auf Dauer angelegte Zusammenarbeit mit wenigen Zulieferern verringert wiederum die Vielfalt der möglichen Kleiderstile. Aufgenähte Pailletten oder ständig wechselnde Moden findet man nicht bei Uniqlo. Den Nachteil gegenüber der Konkurrenz hat Yanai einfach in eine Produktphilosophie umgedeutet: Life-Wear. Die Idee ist, sich am Tagesablauf des Menschen zu orientieren und für jeden Moment ein passendes Stück anzubieten. Dafür verzichtet man auf modische Vibrationen. Während die Konkurrenz im sogenannten Fast-Fashion-Sektor fast wöchentlich neue Looks anbietet, behauptet Uniqlo stolz, "slow" zu sein. Eine ganze Reihe typischer Uniqlo-Kleider existiert so schon seit Jahrzehnten. Entsprechend der japanischen Tradition "konstanter Verbesserung" werden dabei immer wieder Details überarbeitet.

Es gibt das Klischee, Japaner seien bescheiden. Das Uniqlo-Credo besteht aus drei Sätzen, in fetter Schrift zu finden in jedem Jahresbericht: "Changing clothes. Changing conventional wisdom. Changing the world." Den Jahresbericht von Uniqlo, eigentlich eine Publikumsgesellschaft, schreibt Yanai. In Ich-Form. Er kritisiert, freut sich, erzählt ganz nebenbei, dass er seine Söhne wohl nicht zu Nachfolgern macht – und verkündet krasse Ziele: Fünf Billionen Yen (etwa 37 Milliarden Euro) will er im Jahr 2020 weltweit umsetzen.

Dazu soll sein Unternehmen um ein Viertel wachsen – pro Jahr. Eigentlich unmöglich, aber die stabilen Einkommen aus dem Heimatmarkt Japan und die gewaltigen Zuwächse aus China haben Yanai eine schier unerschöpfliche Kampfkasse verliehen. "Asien gibt den Weg vor, die USA folgen" steht im Jahresbericht. Solche Ambitionen kennt man im Westen fast nicht mehr. Außer natürlich im Silicon Valley.
Soylent zum Anziehen

Dort holt sich Yanai seine Inspiration. Sein ganzes Führungsteam besteht aus US-Managern, vom Beratungsunternehmen McKinsey bis zu McDonald’s. Dass sein Filial-Design an Apple erinnert, ist kein Zufall, weil Yanai ehemalige Apple-Leute angeworben hat. Wie Steve Jobs ist Yanai zentraler Impulsgeber seines Unternehmens. Im Kern ist Uniqlo auch keine Modefirma, sondern ein Technologieunternehmen. Ein Problemlösungslieferant, auf Basis der Westküsten-Philosophie des Solutionism: Für alles existiert eine Lösung, mit der man Geld verdienen kann.

Der Aufstieg Uniqlos begann mit dünnen Fleece- und Daunenjacken, die besonders praktisch sind für die winterlichen Temperaturen und die gleichzeitige Enge der japanischen Städte. Im Uniqlo-Organigramm sieht man, dass das Design der Forschungsabteilung unterstellt ist – völlig untypisch für den Modesektor. Der Look von Uniqlo beruht auf der Analyse von Kundendaten, er ist eine Art Big-Data-Style. Darauf ist das Unternehmen stolz. Yukihiro Katsuta, Chef der Forschungsabteilung und Uniqlo-Vizedirektor, erklärt, dass Mode in Wahrheit für viele Menschen schlichtweg ein Problem sei: Es sei ein Aufwand, sich für einen bestimmten Look zu entscheiden. Dabei wolle Uniqlo helfen, indem man nützliche Kleidung produziere: "Kleidung muss ein Werkzeug sein."

Eigentlich macht Uniqlo also nicht Fashion, sondern das Gegenteil davon. Fast so wie der US-Lebensmittelhersteller Soylent, der eine Paste anbietet, die das ganze mühsame Prozedere des Essens ersetzt, weil sie alle notwendigen Nährstoffe enthält und nur mit Wasser aufgegossen werden muss. Ein ziemlich angesagtes Produkt.

ARTIKEL auf ZEIT ONLINE

ZEIT online: Gib Mir Feierabend

Gib mir Feierabend!

Schluss mit Homeoffice, modularen Büros und fließenden, erweiterten Arbeitszeiten: Der Achtstundentag von neun bis fünf ist das beste Modell, das wir haben.


Es gibt nichts verdammt Cooleres auf der Welt als einen 9-to-5-Job. Die ganze Pracht eines eigenen unverrückbaren Schreibtischs, den man zu vernünftigen Tageszeiten besucht, um sich in dieses Schlamassel namens Arbeit hineinzustürzen wie die Perser im Hollywoodfilm 300. Oder die Typen, die von diesen Klippen hineinspringen, in den weiten Ozean, und dann kommt der harte Aufprall, das Ringen mit dem kalten, tiefen Wasser, das kraftvolle Hinaufstreben ans Licht, und endlich, die Sonne im Gesicht: So fühlt sich Feierabend an.

Fünf Uhr ist die optimale Zeit dafür: Heimspazieren nach getaner Arbeit, Freunde grüßend auf der Straße, fröhlich ein Köfferchen schwenkend. Bloß, das gibt es nicht mehr.

Kürzlich haben deutsche Arbeitgeberverbände gefordert, den Achtstundentag aus dem Arbeitsgesetz zu streichen, weil er angeblich "Flexibilität" mindere. Ohnehin heißt es, die Generation der sogenannten Millenials interessiere sich besonders für die "Work-Life-Balance".

Das ist nichts als eine verlogene Verharmlosung der Tatsache, dass die Jungen verzweifelt auf der Suche nach 9-to-5-Jobs sind. Niemand soll behaupten, er habe die Zeichen nicht erkannt. Die Bilder von Computern, die sich in unsere heiligsten Rückzugsräume vorwagten. Das waren die nuller Jahre: Werbungen von lässigen Laptops auf Bootsstegen, Café-Tischen oder am Strand bei Sonnenuntergang. Riesige Arbeitsspeicher und verlockend tief Preise. Wir selbst haben die 9-to-5-Welt zerstört und sogar noch 999 Euro für das Ende unserer Freizeit bezahlt.

Bald darauf vereinten sich die Laptops mit Telefonen zu Smartphones, die wirklich überallhin mitdurften. Heute wählen wir Provider nach Netzanbindung. Und Tag und Nacht arbeiten Techniker daran, die letzten Funklöcher zu schließen, damit wir mit unseren Smartphones immerzu und allerorts Mails beantworten und Tabs aufklappen können.

Die echten Arbeitsplätze, diese begrenzten Felder des Ackerns, verschwinden überall auf der Welt. Facebook und Google bauen um die Wette Drohnen und Sendeballons, um das Internet bis ins letzte Dschungeldorf zu strahlen. Nicht mal auf der Flucht sind wir mehr unerreichbar. Als die Fluglinien jüngst beschlossen, das Handyverbot an Bord aufzuheben – wieso ging da niemand auf die Straße?
Der pure Luxus

Die Trennung von Arbeit und Freizeit, von Beruf- und Privatleben ist vorbei. Der Kapitalismus kriecht nun in alle Ritzen. Es gibt Studien darüber, wie viele Leute mitten beim Sex kurz ihre Mails checken. Ergebnis: viele.

Du wolltest Unabhängigkeit? Dann renn los! Die ganze Welt ist jetzt dein Office. Rund um die Uhr, als Dauerschicht.

Und 9-to-5-Jobs sind der pure Luxus geworden. Vor der digitalen Revolution konnte man mit schnellen Autos angeben, jetzt dagegen mit den extra langsamen SUVs. Warum? Weil man heute am besten mit freier Zeit prahlen kann. Damit, gemütlich durch die Gegend zu kurven – weil man entweder richtig reich ist. Oder einen 9-to-5-Job besitzt. Der ist inzwischen so selten, dass man für ihn ein anerkennendes Nicken auf Partys bekommt. Ein Prestigegut.

Beweis dafür sind seine vielen Imitate. Man muss sich nur die vielen vermeintlichen Freizeitler anschauen, die die Cafés bevölkern oder durch die Geschäftsstraßen bummeln. In Wahrheit sind sie auf Abruf unterwegs, für einen 20- bis 80-Prozent-Job mit flexiblen Arbeitszeiten. Gelebt wird das folgendermaßen: Entweder wir machen mehrere Teilzeitjobs; wir arbeiten Vollzeit für eine angebliche "Teilzeitstelle" – oder gewitzte Arbeitgeber kumulieren vier Teilzeit-Jobs zu einer Stelle. In Gleitzeit.

Ich kannte den Personalchef eines Konzerns, der hatte 51,5 Prozent – abzuleisten in drei Städten. Smartphone raus, sobald das Ding wieder brummt und piepst, wie ein hungriges, immer gieriger werdendes Monsterküken, das die Hand, die es füttert, irgendwann einfach mitverschluckt.

Nicht die Arbeit geht aus, aber sie verliert ihren Platz. Deshalb füllen sich heutzutage selbst die hässlichsten Bürobrachen mit Ateliers voller Freelancer. Die zahlen sogar dafür, einen Platz zum Arbeiten zu haben. Zahlen obendrauf noch für einen Yogakurs oder ein Essen um sechs, nur damit sie für sich einen Grund haben, ihre Arbeitszeit einzuschränken.
Wir schaffen Arbeit komplett ab

Auch in Deutschlands blühenden Landschaften platzen überall Risse auf, seit die Arbeitswelt so in Bewegung gekommen ist. Von den Tramfahrplänen über die Kindergärten bis zu den Ladenöffnungszeiten, außerhalb der Berlin-Bubble baut alles auf dem 9-to-5-Job auf. Wer keinen hat, steht vor geschlossenen Amtstüren, kriegt keinen Mietvertrag, weiß nicht, wohin mit seinem Kind. Jede alte Arbeitsstruktur scheint in dieser jederzeit umprogrammierbaren Welt ein Hindernis zu sein.

Alles ist im Fluss: So sieht auch der Plan aus für das neue Google-Hauptquartier in Kalifornien. Vier vollständig transparente Bürogebäude aus Fiberglas, in denen die Außen- mit der Innenwelt verschmelzen soll, die Büroflächen perfekt umstrukturierbar und sogar die eigentlichen Gebäude flexibel zueinander verschiebbar sein sollen wie riesige Spielzeuge. Es soll ein perfektes Ambiente sein, um darin "zu leben und zu arbeiten", wie die Planer sagen. Fertig 9-to-5.

Die eine Antwort auf die 9-to-5-Krise ist: Wir schaffen die Arbeit komplett ab. Anstelle von Arbeitsvertrag und definierter Aufgabe schnappen wir uns via Apps Mikrojobs auf Crowdsourcing-Plattformen (so wie Amazons Mechanical Turk das vorschlägt). Statt Lohn am Monatsende käme unser Geld dann von Crowdfunding-Projekten. Vielleicht könnten wir auch bald mit Klicks und Likes zahlen. Die stiere Arbeit im alten Stil wäre passé. Wir könnten den ganzen Tag so tun, als hätten wir frei. Ehrlich: Was klingt geiler – Kickstarter oder Lohntüte?

Meine Antwort ist: Schluss mit Homeoffice, modularen Büros und fließenden Arbeitszeiten! Ich habe diese Freiheit satt. Gebt mir ein Desk und eine Stempelkarte.

Artikel auf ZEIT ONLINE

Sonntag, 29. März 2015

ZEIT Online


Die Angst vor der Technologie-Apokalypse nimmt hysterische Züge an. Wenn intelligente Maschinen uns einst auslöschen, dann haben wir uns das selbst zuzuschreiben.

Essay von Wolfram Klingler und mir für ZEIT online.

Update: Empfohlen von Winnie Schäfer Update: Bin überrascht. Ein Artikel über die Auslöschung der Menschheit durch Robos geht Sonntag Nachts um 22.45h online. Und kriegt trotzdem fast 200 Kommentare.

Sonntag, 1. Februar 2015

ZEIT Online

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ZUM ARTIKEL

Mittwoch, 26. November 2014

Essay: Ein Herz aus Gold

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Alptraum Partizipation: Droht das Experiment Schweiz zu scheitern? Mein Essay zum direktdemokratischen Totalitarismus in der ZEIT ONLINE.

Montag, 3. November 2014

Die ZEIT online

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Deutschland Veröffentlichung meines Artikels für Das Magazin: Die Zeichen dafür dass sich das kapitalistische Nirvana nähert mehren sich. Stahl sieht sie überall...weiterlesen">http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-10/absolute-preisdiskriminierung">weiterlesen

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Mittwoch, 20. November 2013

Update China Reportage

  1. (Beinahe) Vollversion meiner 44.000 Zeichen langen China Lebensmittel Reportage jetzt bei der ZEIT Online
  2. Ein kurzes Interview zur Reportage im Deutschlandradio

Dienstag, 26. Juni 2012

Essay: Albtraum Partizipation

Die Forderung jeder solle jederzeit und überall mitmachen dürfen zieht sich wie ein Roter Faden durch unsere Gegenwart.

Von Wikipedia und Facebook über Occupy Wallstreet bis Arabischer Frühling. Alles ist zum mitmachen und socializen. Doch falschverstandene Partizipation wird schnell zum Albtraum.

Nicht jeder muss stets an allen Entscheidungen beteiligt werden. Ob in Brüssel, Berlin oder in der Provinz – Partizipation muss neu verstanden werden.

Markus Miessen und ich haben am 1. Mai in Berlin einen Text gegen den modischen Partizipationswahn verfasst. Jetzt in der ZEIT Weiterlesen

Markus Miessen
Mit Markus, Besprechung 2012, Berlin Mitte

Freitag, 4. März 2011

Fredi auf Leistungsschau

Ein Zürcher Student der Kunstgeschichte soll eine der meistdiskutiertesten deutschen Ausstellungen des Jahres 2011 mitkuratieren.

Hannes Grassegger für Die ZEIT (Schweiz)

Es ging schnell für Fredi. Im Oktober erhielt der Zürcher Bachelor-Student der Kunstgeschichte und Sohn des Künstlers Peter Fischli eine Einladung, sich als fünftes Mitglied des Kuratorenteams einer hochdotierten Kunstausstellung vorzustellen. Im November kam der 23-jährige in die grösste Schlacht Berliner Kulturschaffender seit der Jahrtausendwende. Und zuhause gabs Klausuren. Sofort danach zog Fredi nach Berlin. Nun stellt er sich genau auf die Konfliktlinie.

Im Grossen offenbare der Konflikt um eine zu Beginn als „Leistungsschau“ bezeichnete temporäre Berliner Kunsthalle die Distanz, die sich in Deutschland zwischen Kulturförderung und Kunstschaffen entwickelt habe, erklärt Fischli.

Im Detail geht es um eine 1,7 Millionen Euro schwere Ausstellung, die vom 8. Juni bis 24. Juli das derzeitige Berliner Kunstschaffen reflektieren soll. Zum Vergleich: der „Kunstraum Kreuzberg“ überlebt mit knapp 140.000 Euro, die „Kunstwerke“ mit einer halben Million im Jahr. Dass Berlin, welches jährlich 4 Millionen Euro für die Förderung der bildenden Künste aufbringt, im Wahlkampfsommer so viel locker machen kann, stiess Kritikern sauer auf. Den Event „Leistungsschau“ zu nennen, fanden sie zum Kotzen. Flugs baute sich in der früheren Mauerstadt ein Zweifrontenkampf auf. Tausende Künstler unterzeichneten einen offenen Brief an Klaus Wowereit, in dem auch der Auswahlprozess der Jungkuratoren mit Fischli kritisiert wird.

Die Kritiker schiessen scharf. Fischli sei als unerfahrener Kurator von Aussen in ein Kulturpolitik-Schlachtfeld hineingeraten, dem er nicht gewachsen sei, meint Ellen Blumenstein, Mit-Initiatorin des Offenen Briefes. Nicht was auf der Leistungsschau am Ende ausgestellt werde sei wichtig, sondern die Debatte über das „wie“ der Kunststadt. Über Freiräume, Arbeitsbedingungen. Sie wundert sich über die Blauäugigkeit, der Jungkuratoren.

Dass die Berliner Kulturlandschaft politisiert sei, habe er gewusst, stöhnt Fischli, „aber doch nicht so.“ Er sehe sich gar nicht als Goliath im David-gegen-Goliath Paradigma. Nicht bei seinem Hintergrund.

Die Jungkuratoren wurden von einem dreiköpfigen, renommierten Gremium erlesen. Während die vier anderen - Angélique Campens, Scott Weaver, Magdalena Magiera und Jakob Schillinger (alle zwischen 1978 und 1981 geboren) – wie das Gros der Berliner Künstler nicht aus Berlin stammen, bringen sie doch, anders als Fischli, einen internationalen Leistungsausweis mit.

Doch Fischli ist gradlinig. Nach dem Abitur absolvierte er Assistenzen und Praktika bei der Matthew Marks Gallery New York und im Migros Museum für Gegenwartskunst, veranstaltete temporäre Ausstellungen in Zürich; an der Universität Zürich hielt er ein Tutorat übers Kuratieren. „Zudem lernte ich durch meinen familiären Hintergrund schon früh, was und wie die Kunstwelt verhandelt.“, erklärt der kräftige Kerl, der dunkle Augenringe hat, aber um Statements nie verlegen scheint.

Als Fischli mit Partnern letzten Sommer in Zürich für kurze Zeit im Darsa Comfort Projekt einen Überblick über das derzeitige Zürcher Kunstschaffen kuratierte, bemerkte ihn Hans-Ulrich Obrist, Teil des Gremiums der Leistungsschau. Obrist, 42, Schweizer, einer der visibelsten Kuratoren weltweit, erlangte als 23-jähriger Student in St Gallen Weltruhm, weil er unter anderem Werke von Fredis Vater bei einer Privatvernissage zeigen konnte.

Diesen Zusammenhang tut Fischli ab: „Ich trat gegen vierzig Kandidaten an und kam als letztes Teammitglied hinzu. Gewählt haben mich alle drei Berater, neben Obrist auch Christine Macel und Klaus Biesenbach.“

Für Obrist ist Fredi Fischli „einer der herausragendsten jungen Kuratoren international“. Fischlis Neugierde, Energie und extreme Gegenwart, seine besondere Fähigkeit zur Immersion in junge Kunst seien aufgefallen. Seine kuratorische Leistung, die Teamfähigkeit habe ihn sehr beeindruckt. In der Schweiz gebe es derzeit eine dynamische Energie, zu spüren in Zürich bei Fredi Fischli oder im Basler Off-Space New Jerseyy. Sorgen, Fischli JR in ein Politschlamassel befördert zu haben, hat er nicht.

Fischli denkt, an der Herausforderung zu wachsen. Er sichtete hunderte eingesandte Künstlermappen, trifft ständig Künstler. Er liebe die Recherche, spüre keine Ablehnung von deren Seite„Wenn die mich sehen, verstehen sie, ich teile ihre Meinung und Bedenken.“ Es könne nichts Besseres passieren, als in einer Ausstellung mitzuwirken, deren Relevanz so offenbar sei.

Aktuell versuchen die Jungkuratoren sich in die Debatte einzubringen. Mehrfach verkündeten sie vor der Presse ihre Position, nannten die Leistungsschau um in „Based in Berlin“ und integrierten unter anderem die „Kunstwerke“ in ihr Konzept. Das Team positioniert sich als Vermittler zwischen den Fronten. Ob das klappt, liegt am Geschick der Jungkuratoren. „Based in Berlin“ wird zur Leistungsschau für Fredi Fischli.

Link zur Die ZEIT Version

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