Financial Times Deutschland

Freitag, 11. Mai 2012

Der Mann hinter Facebook

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Der erbitterte Rechtsstreit mit seinem Ex-Angestellten Mark Zuckerberg lieferte die Grundlage für den Facebook-Film „The Social Network“. Jetzt versucht Divya Narendra erneut, ein soziales Netzwerk auf die Beine zu stellen.

Hannes Grassegger, New York

Es ist die Elite-Version einer Studenten-WG. Fünf Endzwanziger teilen sich im südlichen Manhattan eine stuckbewehrte 250-Quadratmeter-Etage für 10 000 Dollar Monatsmiete. Wie alle hier studiert Divya Narendra an einer der besten Business Schools der Welt, wie alle bewohnt er ein winziges Zimmer, in das gerade mal ein Tisch, ein Bett, ein Kleiderschrank passen. Wenn Narendra einmal nicht an seinem uralten IBM-Laptop arbeitet, übt er stundenlang auf einer seiner vier E-Gitarren Solos der Prog-Rock-Gruppe Dream Theater. Die WG ist das Hauptquartier seines neuen sozialen Netzwerks Sumzero. Auf der Couch im Gemeinschafts-Wohnzimmer schläft einer seiner Angestellten, am Esstisch hält Narendra Meetings ab – und gibt Interviews beim Frühstück mit Kaffee und Donuts.

FTD Divya, was würden Sie am Drehbuch von „The Social Network“ ändern?

Divya Narendra Ich glaube, es wäre vielleicht sinnvoll für die Filmemacher gewesen, mich zumindest einmal zu treffen.

Und was hätten Sie denen über Facebook erzählt?

Narendra Darüber will ich eigentlich nicht sprechen.

Aber es stimmt schon, dass Sie mit Cameron und Tyler Winklevoss den Facebook-Vorläufer HarvardConnection gegründet haben.

Narendra Das war im Dezember 2002, ich war knapp zwanzig. Es gab schon einige soziale Netzwerke. Die waren aber schlecht, die Leute nutzten irgendwelche Identitäten. In meinem Wohnheim hatte ich dann eines Tages eine Eingebung: Wenn sich Nutzer über ihre Hochschul-Mailadresse identifizieren, die nur Studenten haben, kann man verifizieren, wer sich da anmeldet. Anders als bei Myspace oder Friendster, wo jeder rein kann.

Sie haben dann Mark Zuckerberg dazugeholt.

Narendra Wir brauchten einen Programmierer, und der kleine Bruder eines Freundes erzählte mir von diesem Zuckerberg.

Dann haben Sie Zuckerberg beauftragt, Ihre Spezifikationen umzusetzen. Der Rest ist bekannt: Er gründete heimlich Facebook, Sie und die Winklevoss-Brüder fühlten sich betrogen, schließich landeten Sie vor Gericht. War es eine Genugtuung, Zuckerberg zu verklagen?

Narendra Es war mehr eine Notwendigkeit. Ich wusste einfach, dass wir schnell handeln mussten.

Gut, aber was haben Sie damals empfunden? Frustration?

Nerandra So hatte ich mir das eben nicht vorgestellt mit meiner ersten Firma. Der Prozess kostete viel Zeit und Geld. Aber natürlich habe ich unglaublich viel gelernt. Mich bringt nichts mehr um den Schlaf.

Man schläft ja auch gut mit einem dicken Konto. Laut Ihrer Kanzlei bekommen Sie und die Winklevoss-Zwillinge Bargeld und Aktienoptionen im Wert von 65 Mio. Dollar. Dennoch scheint der Streit nicht beigelegt.

Narendra Es gab ein paar komplexere Angelegenheiten bezüglich des Werts der Aktienanteile, die wir erhalten werden, aber dieser Streitpunkt wurde jetzt auch ausgeräumt.

Wieviel Geld werden Sie einstreichen, wenn Facebook an die Börse geht?

Narendra Ich weiß nicht, wie viel meine Aktienanteile wert sein werden, da habe ich keine tieferen Einsichten.

Wieso wollen Sie jetzt eigentlich schon wieder ein soziales Netzwerk aufbauen? Hatten Sie nach dem Facebook-Debakel nicht die Nase voll?

Narendra Ich bin einfach nicht der Typ, der viel klagt und zurückschaut. Ich habe weitergemacht.

Wie reagieren denn Investoren, wenn Sie denen Ihre Idee vorstellen? „Oh je, der Facebook-Verlierer versucht’s noch mal?“

Narendra Wenn überhaupt, dann hilft mir mein Hintergrund.

Sie haben Geldgeber für Sumzero gefunden?

Narendra Bevor ich mein Studium an der Kellogg begonnen habe, haben ich und mein Partner Aalap Mahadevia 275 000 Dollar Anschubkapital gesammelt. Jetzt stehen wir kurz vor Abschluss einer zweiten Finanzierungsrunde, die etwa das fünffache der ersten Runde betragen wird.

Bald werden Sie sehr reich sein und müssten eigentlich gar nicht mehr arbeiten...

Narendra Wie viele Unternehmer neige ich zum Optimismus und will etwas erreichen. Und dank Facebook habe ich die finanzielle Möglichkeit, ohne große Sorgen meine Pläne zu verfolgen. Ich stehe zu hundert Prozent und fulltime hinter Sumzero.

Warum sitzen Sie dann nicht als Startup-Gründer im Silicon Valley, sondern als Jura-Student in New York?

Narendra In New York sind mein Team und die größte Investment-Community der Welt. Und mein Studium hilft mir sehr dabei, mein Netzwerk aufzubauen und kompetenter zu werden. Jura im speziellen hat mir bei Verhandlungen sehr geholfen.

Aber haben Sie das WG-Leben nicht langsam mal satt? Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?

Narendra Die WG war super bisher! Aber wenn ich später mal Zeit habe, suche ich mir vielleicht doch eine Wohnung. Und irgendwann will ich mich auch ernsthaft um Musik kümmern, gerne in Boston am Berklee College Komposition studieren. Aber erstmal bin ich hier und Unternehmer.

Wenn ich das richtig verstehe, beruht Ihr neues Netzwerk auf der alten Grundidee von HarvardConnect.

Narendra Ja, die Idee, dass sich Nutzer eines sozialen Netzwerks authentifizieren müssen. Das veränderte die gesamte Dynamik.

Inwiefern?

Narendra Man will doch Leute dazu bringen, sich viel auszutauschen und wirklich interessante Sachen zu sagen. Nur eine engagierte Nutzerbasis bringt echten Wert in ein Netzwerk. Darum geht es bei Sumzero, einer Online-Community für professionelle Investoren. Speziell für Analysten von Hedge Fonds, Mutual Fonds, aus dem Private-Equity-Bereich.

Und was schreiben die?

Narendra Schauen Sie, hier hat ein Nutzer eine lange Zusammenfassung einer seiner Investitionsempfehlungen gepostet, andere Mitglieder posten ausführliche Kommentare dazu. Das sind nicht irgendwelche Gestalten. Sondern ausgewählte Profis, die wissen, was sie schreiben. Das ist das Feedback, das man sich wünscht. Dazu brauchst Du eine exzellente Community.

Warum brauchen diese Leute ein eigenes soziales Netzwerk?

Narendra Werfen Sie mal einen Blick ins „Wall Street Journal“ oder die „Financial Times“ und schauen Sie, wer da vorkommt. Investoren wie George Soros, Viking Capital, KKR... Deren Analysten liefern die Nachrichten – aber sie selbst haben sich bisher nicht zu ihren Empfehlungen geäußert.

Und warum sollten die nun mit Fremden ihre Erkenntnisse teilen?

Narendra Manche Analysten reden einfach gern. Und für andere ist es Marketing: Sobald sie einsteigen, reden sie darüber, um andere an Bord zu holen.

Was bieten Sie den Mitgliedern?

Narendra Erstmal eine Research-Datenbank mit den Empfehlungen führender Investoren. Die Beiträge geben Details zu Risiken, Höhe der Assets, der Unternehmensführung... Dann kann man andere kontaktieren. Und es gibt eine Stellenbörse.

Können bei Ihnen auch Vertreter von börsennotierten Firmen und Emissionshäusern posten?

Narendra Nein, anbieterseitige Informationen gibt es überall. Bei uns gibt es nur käuferseitige Informationen. Als Analyst fände ich das hoch interessant.

Wie stellen Sie die Identität Ihrer Nutzer denn nun sicher?

Narendra Bei unserer Community muss man sich bewerben und angeben, wo man als was arbeitet. Im Zweifelsfall haken wir nach. Und man muss eine Investitionsidee einbringen. Wir steigern die Qualität durch Reziprozität. Nur wer selber Investitionsideen einbringt, kann auch die der anderen lesen.

Und wie reagiert Ihre Zielgruppe bisher?

Narendra Wir haben 6500 Mitglieder in fast allen wichtigen Finanzmärkten, noch kommen die meisten aus New York und Boston. Hier, die neuesten Anträge: Leute von Vulcan Capital, APAC, Greenlight... Von den Investoren, auf die wir abzielen, gibt es weltweit maximal 100 000. Unsere Vision ist, dass jeder größere Fonds auf unserer Plattform ist.

Dann wäre Sumzero quasi das wertvollste Netzwerk. Wäre das Ihre Rache an Facebook?

Narendra Ich denke nicht mehr an Facebook.

Sonntag, 18. März 2012

Thora im Boardroom

1357627837_f377d40a61 Aaron Raskin (left) blowing the Shofar in front of some boardroom

Discussing applicability and usefulness of jewish law on business life with Thomas David Zweifel, author on management & leadership theory and Rav Aaron Raskin from Chabad Lubawitsch, Brooklyn Heights for the Financial Times Germany.


„Gott ist im Boardroom“

Ein New Yorker Rabbiner und ein Schweizer Management Professor behaupten in den Zehn Geboten die Regeln für erfolgreiches Wirtschaften entdeckt zu haben.

Mit Aaron L. Raskin (ALR), 44 und Thomas D. Zweifel (TDZ), 50, sprach Hannes Grassegger (Q).

Q: Rabbi Raskin, Dr. Zweifel. Sie haben Torah, Kabbalah und Talmud nach Leadership-Strategien für die Geschäftswelt durchforstet. Was können denn Führungskräfte von den Zehn Geboten lernen?

TDZ: Kennen Sie den Witz, wo der Rabbi ein Ehepaar fragt, ob sie eigentlich die Zehn Gebote befolgen? Der Mann antwortet: „Aber natürlich! Meine Frau befolgt sechs, ich vier.“ Spass beiseite: Die Zehn Gebote bieten Werkzeuge, mit denen sich jedes Führungsproblem im 21. Jahrhundert knacken lässt. Letzten Endes geht es darum, was Führungskräfte auszeichnet: Wie man aus sauren Zitronen Limonade macht.

ALR: Schon die ersten vier Gebote liefern Antworten auf wesentliche Fragen: Wie bewahre ich den ethischen Kompass, wenn ich vor einem moralischen Dilemma stehe? Wie bewahre ich Überblick, wie mobilisiere ich Mitarbeiter? Wie verhindert man Drumherum-Gerede in Meetings? Wie unterscheiden Sie Dringliches von Wichtigem? Und: Wie polt man Gejammer in Engagement um?

Q: Was haben denn die zehn Gebote mit Gejammer und Engagement zu tun?

TDZ: Der Fokus auf Kommunikation kommt aus dem Dritten Gebot: Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen. Laut Torah schuf Gott die Welt in zehn Sätzen. Und Menschen sind Ebenbilder Gottes. Sie können mit Worten Realitäten schaffen. Wer leichtfertig jammert: mein Team ist nicht engagiert, der muss aufpassen. Denn er erschafft so Wirklichkeiten.

Q: Wenn ich aber gar nicht an Gott und die Zehn Gebote glaube?

TDZ: Es geht nicht um Religion. Es geht um ethische Entscheidungsgrundlagen und um Tools, die einer Minderheit von 0,2 Prozent der Weltbevölkerung 17 Prozent aller Nobelpreise in Naturwissenschaften und Medizin und 11 Prozent der für Physik einbrachten. Da scheint etwas sehr Nützliches vorzuliegen.

ALR: Das Buch hat ja die letzten 3300 Jahre gut funktioniert. Egal welche Kultur, welches Land, Juden von China bis zu den USA folgen der Torah und sind erfolgreich.

Q: Was für Tools fanden Sie denn so für Manager und Unternehmensführer?

TDZ: Beispielsweise Gebot Nummer sechs, Du sollst nicht morden, übersetzen wir in Anger Management: die Bibel birgt wertvolle Geschichten und Hinweise, wie man konstruktiv mit negativen Gefühlen umgehen kann. Nummer fünf: Ehre Deine Eltern. Wir übersetzen das als: die Wertschätzung jedes Mitarbeiters ist ein kraftvolles Management-Instrument, das sowohl Dich als auch das Gegenüber stärker macht und in die gewünschte Zukunft führt. Oder das Neunte Gebot, das befiehlt, kein falsches Zeugnis abzulegen, also auch—und gerade—die schlechten Neuigkeiten zu kommunizieren. Das ist ja in einigen Banken nicht passiert, was nicht zuletzt zur Finanzkrise führte. Aber nur so kann man Pannen in Durchbrüche verwandeln.

Q: Leadership by Torah? Herr Zweifel, befürchten Sie nicht, ihre Kollegen an der Hochschule Sankt Gallen werden Sie schief anschauen?

TDZ: Gar nicht. Meine Kollegen wissen, dass wir in einer Führungskrise stecken. Wir brauchen ein radikales Umdenken. Radikal heisst: zurück zu den Wurzeln.

Q: Was ist eigentlich jüdisch gedachtes Leadership? Das Judentum kennt ja kein Oberhaupt, keine Führerschaft.

TDZ: Ja, das Judentum hat keine menschliche oberste Instanz. Jeder muss seinen Weg finden und für sich selbst entscheiden. Also gilt: zwei Juden, drei Meinungen. Dass heisst aber nicht, keine Führerschaft. Im Gegenteil, es herrscht Wettkampf um Führung.

ALR: Gutes Leadership heisst beispielhaft vorangehen.

TDZ: Führungsqualität zeichnet sich durch effektive, wertschöpfende Kommunikation aus, durch die andere ihre Ziele erreichen können.

Q: Trafen Sie sich mit dem Plan, ein Management-Buch zu verfassen?

TDZ: Nein. Rabbi Raskin und ich lernten uns an einer Parkbank am Hudson River kennen. Am 12. September 2011, ich hatte am Vortag die Flugzeuge in die Türme rasen sehen. Überall flogen Dokumente und Verträge herum. Wir kamen ins Gespräch. Ich fing an Samstags die Synagoge zu besuchen. Monate später kam ich dann mit einer Idee auf ihn zu, die ich seit Jahren hatte: Ein Buch zu Leadership und Judentum.

Q: „Der Rabbi und der CEO“ beginnt damit, dass Moses einen Ägypter tötet. Ihr Erstes Gebot lautet: Übernehmen Sie Verantwortung. Moses übernimmt Verantwortung für das Leben eines Sklaven, und bricht gleichzeitig das Siebte Gebot, nicht zu töten. Machen ihre Gebote das Leben kompliziert?

ALR: Das Gebot lautet, du sollst nicht morden. Töten ist erlaubt. Moses tötete den Ägypter, weil er dabei war, einen Sklaven zu ermorden. Das war Nothilfe. Moses gehörte zum ägyptischen Establishment, aber war ein Mann mit Moral. Er wusste um die Konsequenzen, musste aber eingreifen zugunsten des Underdog. Das ist der erste Schritt zu Leadership: Wissen, was richtig ist. Und dann so handeln.

TDZ: Dilemmata sind die Herausforderung für Führungskräfte. Wenn man wie Moses mit einem ethischen Dilemma konfrontiert ist, gilt es Verantwortung zu übernehmen. Das kann im schlimmsten Fall Leben kosten. Präsidenten, die Soldaten in den Krieg schicken, kennen das. Die Zehn Gebote bieten eine Struktur, die erlaubt, Werte zu priorisieren.

Q: In Ihrem Buch ergänzen Sie die Zehn Gebote, formulieren sie um. Ist das nicht Frevel?

ALR: Wenn wir nicht in der Lage sind, die Torah auf unser jetziges Alltagsleben anzuwenden, dann ist die Torah tot. Weil Gott und die Torah leben, müssen wir auch in der Lage sein, die Torah anzuwenden und eine praktische Message rauszuholen.

Q: Warum gibt ein Rabbi wie Sie, der doch die Aufgabe hat, sich nur um Juden zu kümmern, eigentlich Gebote für Nichtjuden?

ALR: Gott trug Moses am Berg Sinai auf, die Torah in 70 Sprachen zu übersetzen. Die Message der Torah ist universell. Und das ist auch der Job eines Rabbis und eigentlich aller Juden: nicht einfach nur die eigenen Leute schützen, sondern ein Licht zu sein für alle anderen. Wissen teilen. Das soll nicht arrogant klingen. Wir haben ein Geschenk erhalten und sollten es teilen.

Q: Rabbi, was ist eigentlich ihr Management-Background?

ALR: Ich habe eine Frau und sechs Kinder, ich manage eine Synagoge mit 500 Mitgliedern und eine Vorschule mit 120 Schülern. Für uns arbeiten mehr als 50. Dazu bin ich der Rabbi für sieben Colleges und mache Seniorenarbeit. Das erfordert Management-Technik.

TDZ: Eigentlich begann unsere Zusammenarbeit, als ich dem Rabbi Leadership-Coaching gab. Und er coachte mich in meinem Leben.

Q: Welche Tipps kamen denn von Dr. Zweifel?

ALR: Thomas’ erste Lehre war, den Schreibtisch zu organisieren. Die zweite, sich nicht bei einer Priorität unterbrechen zu lassen. Grad kam jemand rein—ich hab ihn wieder rausgeschickt. Bin ja im Interview.

TDZ: Ich lernte vom Rabbi, mehr Mensch zu sein im Geschäftsleben.

Q: Zeitmangel bei Komplexität, das ist die grösste Restriktion für Entscheidungsträger. Inwiefern hilft mir ihr Buch, schneller richtige Entscheidungen zu finden?

TDZ: In Kapitel vier geben wir ganz spezifische Hinweise wie man Nein sagt. Jeden Sonntag Abend sehe ich mir die Top-Prioritäten der kommenden Woche an und sage Nein zu allen möglichen anderen Tätigkeiten. Manager, die nicht Nein sagen können, sind keine Führungskräfte, sondern Spielbälle der Umstände.

Q: Religion und Wirtschaft vereinen - ist das nicht ein Rückschritt? Seit der Aufklärung trennt man, die Bereiche. Wie man am steigenden Wohlstand weltweit sehen kann, eine erfolgreiche Idee.

TDZ: Eigentlich geht nur Kapitel sieben, Integrität, um moralische Regeln. Kapitel drei zum Beispiel behandelt Kommunikation. Das Gebot, den Namen des Allmächtigen nicht vergeblich auszusprechen, übersetzen wir als: Du kannst durch bewusste Sprache, mit wirksamen Worten die gewünschte Welt erschaffen. Das hat nichts mit Moral zu tun.

Q: Werden manche Regeln für Andersgläubige unerfüllbar sein?

ALR: Unser Buch ist für alle. Nichts in diesem Buch wertet andere Religionen ab. Ein Beispiel: das vierte Gebot geht darum, am Shabbat zu ruhen. Die Message ist: jeder Mensch muss abschalten, das Handy ausmachen, sich um die Familie und das Wesentliche kümmern. Es gibt mehr im Leben als Geld verdienen. Es geht darum, Gutes zu tun. Und das wollen wir vermitteln im Buch. Damit irgendwann Friede herrscht, kein Leiden mehr ist im Nahen Osten, alle Nationen miteinander Geschäfte machen können.

Q: Wenn es nicht nur um Geld geht, wie definieren Sie Erfolg?

ALR: Alles hängt mit allem zusammen. Letzten Endes dreht es sich darum, komplett zu sein, integer. Unser Buch ist ein Buch über Leadership. Und das beginnt bei einem selber. Wer ist stark? Nicht Schwarzenegger, denn er konnte seinen Appetit nicht zügeln. Stark ist jener, der es schafft, ein Leben zu bilden, das Familie und Geschäft integriert. Viele glauben, wenn sie in der Synagoge, Moschee oder Kirche beten, sie seien Gott nahe. Zurück im Geschäft denken sie, nur durch Geschwindigkeit oder das Überwinden anderer erfolgreich sein zu können. Viele glauben, Gott wäre beschränkt auf die Spiritualität oder den Himmel. Aber Gott ist wirklich überall. Im Bett, in der Küche. Im Boardroom.

Freitag, 13. Januar 2012

Financial Times Germany

Dale Guild FTD

Mit uralten Maschinen und neuen Geschäftsideen wagen sich wieder Bleisatzdrucker und Schriftgießer auf den Markt

Hannes Grassegger, New York

In Brooklyns Stadtteil Williamsburg sollte eigentlich die Zukunft entstehen. Hier lebt Amerikas kulturelle Vorhut, aus allen Teilen des Landes kommen die jungen Kreativen. Die Promeniermeile Bedford Avenue ist voll individualistischer Mittzwanziger – die doch alle seltsam gleich aussehen. Irgendwie alt. Fast nichts, was die vollbärtigen Jungs in ihren Holzfällerhemden und die Girls in ihren antiken Pendleton-Jacken kaufen, ist wirklich neu: Wiederveröffentlichungen von Büchern, Schallplatten und Turnschuhen.

Nur drei Parallelstraßen weiter liegt eine der Keimzellen des neuen „alten“ Williamsburg: Die Bleisatzdruckerei The Arm. Zuerst waren es Independent-Bands, die hier tagsüber auf Maschinen aus der Cowboyzeit ihre Plattenhüllen druckten und abends in der alten Garage auftraten, heute buchen hier Firmen wie Google und Condé Nast Workshops.

Im hellen Innenraum läuft Jazz, an drei Reihen gusseiserner Pressen arbeiten heute vier Besucher. Grafiker Derrick Holt freut sich über die Möglichkeit, seine Entwürfe mit den eigenen Händen umzusetzen. Neben ihm druckt sich ein Berater Visitenkarten auf schwerem Papier, „handgemacht, da spürt man meinen Namen.“
The Arm ist legendär, Vorläufer eines Revivals alter Drucktechnik. Eine Handvoll solcher Studios existieren in New York. Auch in Deutschland haben die Bleisatzdruckmaschinen wieder Konjunktur, sagt der Berliner Verleger und Akzidenzdrucker Martin Z. Schröder: „Letterpress ist sehr in Mode.“ Handgedrucktes Briefpapier, die Visitenkarte in klassischer Typographie sind keine Accessoires von Nostalgikern oder aus der Zeit gefallenen Sonderlingen mehr.

Hatch Show Print at The Arm

Soeben wird im The Arm eine neue Maschine angeliefert, über hundert Jahre alt. „Alles Neue was Du hier siehst, ist alt“, sagt Inhaber Dan Gardiner Morris, natürlich trägt er Jeans und Holzfällerhemd. Man müsse nur in die Vergangenheit schauen, um bessere Produkte herzustellen.
„Retromania“, nannte ein bekannter Kulturkritiker kürzlich sein Buch über die anhaltende Obsession der westlichen Jugendkultur mit der Vergangenheit. Dahinter steckt aber mehr als eine Mode, sondern ein anderes wirtschaftliches Denken. So wie Anleger in Zeiten unsicherer Börsen auf Gold setzen, sind auch Amerikas gebrannte Bürgerkinder auf der Suche nach sicheren Werten. In der Schule haben sie den Zusammenbruch der New Economy erlebt und auf dem College das Platzen der Immobilienblase. Jetzt brauchen sie etwas zum Festhalten. Oder Neustarten.

„Was macht man, wenn man etwas Wichtiges verloren hat? Man vollzieht seine letzten Schritte nach. Man erkundet die Vergangenheit, um ein Problem der Gegenwart zu lösen. Das ist keine Nostalgie. Das ist Vernunft“, erklärt der Journalist Kurt B. Reighley das Phänomen.
Morris hat es geschafft seine Uralttechnik profitabel zu machen. Der 33-jährige bietet Drucke in Kleinauflagen, vom Plakat zur Einladung; er vermietet Studiozeit und gibt Kurse. Im The Arm kann man lernen, wie man seine Entwürfe mit Bleisatz- oder Holzlettern umsetzt. Das zieht. Sogar der größte amerikanische Designerverband AIGA arbeitet hier.

2009 wagte Morris den nächsten Schritt und kaufte zusammen mit einem Freund die Reste eines Imperiums. Eine Holzhütte voll antiker Maschinen ist einzige Überbleibsel der American Type Foundry (ATF), des riesigen Zusammenschlusses der amerikanischen Schriftgießereien.

The Dale Guild Type Foundry

In der Konsolidierung fast aller verbliebenen Bleigiessereien zu einem Riesenunternehmen, der ATF, hatte Anfang des 20. Jahrhunderts Gutenbergs uraltes Handwerk Zuflucht vor dem Wandel der Zeit gesucht, noch in den 1920er-Jahren unterhielt die ATF sogar eine eigene Softball-Liga. Aber sie war ein sterbender Riese: 1993 schloss der Betrieb, der bis zum Schluss die Titellettern der New York Times gegossen hatte. Der Maschinenpark wurden versteigert – an den letzten ATF-Lehrling Theo Rehak, der damit 1994 unverzagt seine eigene Gießerei gründete: die Dale Guild Type Foundry.

Heute pflegt eine neue Generation den Nachlass. „Mein Job ist seit 125 Jahren obsolet“ sagt Micah Currier, als er das Licht in der Dale Guild anschaltet. Der 29-jährige Enkel eines jüdisch-polnischen Partisanen ist der letzte gelernte voll berufstätige Schriftgießer der USA. Der Einzige, der hier Blei, Zink und Aluminium schmilzt und die 16 Barth-Casting-Maschinen mit den massiven Schrauben und Schläuchen anschmeißt, um Buchstaben zu fertigen. Currier hat einen Auftrag. Er trägt die Verantwortung für den Erhalt einer Tradition.


The Dale Guild Type Foundry

Jahrelang hatte der studierte Englischlehrer versucht, als Lehrling in der Dale Guild aufgenommen zu werden, „sie war mein Mekka.“ Immer hatte Theo Rehak abgewunken. Aber dann bekam die Gale Guild einen Großauftrag und mit Rehaks Gesundheit ging es bergab und plötzlich hatte Currier doch eine Lehrstelle. Und das Angebot, den Betrieb zu kaufen. Kaum mehr als den Schrottwert des einzigartigen Maschinenparks bezahlten Currier und sein New Yorker Freund Morris.

Seither versuchen Rehaks Erben, ein Geschäftsmodell zu finden. Denn obwohl der Hochdruck eine Renaissance erlebt, ist die Bleigießerei fast tot. Neben der Dale Guild gibt es in ganz Europa und den USA nur noch zwei Betriebe. Kommerziell arbeitende Kunden kann Currier an zwei Händen abzählen, der Verkauf an die junge Letterpress Szene bringt wenig. Ob und wie er es schaffen wird, weiß er noch nicht. Er geht auf Messen, bald ist er zum ersten Mal in England.

Hoffen lässt ihn auch der wachsende Markt für Bücher im alten Stil. Anfang November wurde erstmals seit zehn Jahren ein Buch mit neuer Dale Guild-Typographie veröffentlicht. Preis der Schriftsätze für das Buch: mehrere Zehntausend Dollar.

ATF/ Dale Guild Williamsburg Ornaments


Das Geschäft ist hoch riskant: Die Bleipreise schwanken, für die uralten Maschinen fehlen Ersatzteile. „Wenn ich nicht der einzige wäre, würde ich ja eine Gewerkschaft gründen. Ich muss den Gürtel wirklich enger schnallen“, sagt Currier wiegt ein kleines Päckchen mit glitzernden Typenreihen in der Hand. „Ich versuche ein Geschäft aus dem zu machen, was ich liebe.“ Currier zeigt auf eine der Gravurmaschinen. „Das hier ist kein Projekt. Das ist mein Leben.“

Eine Alternative sieht er ohnehin nicht: „Sozialer Aufstieg, das war doch der amerikanische Traum, nicht wahr? Was ich in meinem Leben gesehen habe, war das exakte Gegenteil. Die Mittelklasse stürzt ab. Viele meiner Collegefreunde leben von Hilfsjobs. Ganz wenige verdienen Geld. Fast niemandem geht es gut.“ Er hingegen habe schon von der Lehre enorm profitiert, sie habe ihn erst zum Erwachsenen gemacht. „Rehak wurde wie ein Vater für mich. Jeder meiner Geschäftspartner ist mir wichtig.“ Bei Verhandlungen rede man über Qualität. Geld sei zweitrangig, das Produkt wichtiger als der Profit.

The Dale Guild Type Foundry
Die Dale Guild Macher, Dan, Theo und Micah


Inmitten einer Medienwelt, die unter dem digitalen Wandel ächzt, suchen Betriebe wie die Dale Guild und The Arm nach einer besseren, kleinen Wirtschaftswelt.

Überholte Technik, aber gute Qualität und nachvollziehbare Wertschöpfungsketten: Überall in den USA entstehen Geschäfte, die so unter den Slogans „Local“ und „Made in USA“ um Kunden werben.
Produkte herzustellen die profitabel sind und der Gesellschaft nützen – für Starökonom Michael E. Porter ist das das Management-Leitbild der Zukunft, das Credo seines 2011 erschienenen Buches „Creating Shared Value: Redefining Capitalism and the Role of the Corporation in Society“. Gehört haben davon wohl die wenigsten vergangenheitsbesessenen Williamsburger Vollbartträger. Aber im Kleinen probieren sie es schon mal aus.

Text im kostenpflichtigen Teil der FTD.

Sonntag, 23. Januar 2011

Manipulation mit Tiefenökologie?

Lush, das Kosmetikunternehmen mit der Aura eines knallbunten Bodyshop 2.0 vermarktet sich gerne als ethisches Unternehmen. Doch hinter den Kulissen beklagen Mitarbeiter die Arbeitsverhältnisse:

Zum Artikel in der FTD

Mehr zu Lush in meinem Archiv (Die Zeit).

Freitag, 22. Januar 2010

Betrugsfälle bei biologischer Baumwolle

January 22nd, 2010

Die beiden Artikel in der Financial Times Deutschland. Von Hannes Grassegger, Zürich und Jens Brambusch, Hamburg

Leitartikel: http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:trendgeschaeft-biotextilien-betrug-mit-angeblicher-biobaumwolle/50063980.html

Agenda Seite: http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:agenda-das-geschaeft-mit-falscher-biowolle/50063966.html

Rezeption in anderen Medien:

AFP:
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5joqcYitW-O272iKgIYOvnJ1LrW6g

Frankfurter Rundschau
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/2224743_Gen-Baumwolle-Ein-schon-fast-vollendeter-Siegeszug.html

Frankfurter Rundschau
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/2224392_Baumwolle-Anbau-in-Indien-Toedliche-Felder.html

Greenpeace (mit Kirsten Brodde)
http://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/nachrichten/artikel/was_ist_dran_am_oekobaumwoll_skandal/

Junge Welt:
http://www.jungewelt.de/2010/01-25/011.php

Kirsten Brodde
http://www.kirstenbrodde.de/?p=655

N-TV:
http://www.n-tv.de/wissen/gesundheit/Betrug-bei-Bio-Labeln-article691132.html

New York Times:
http://greeninc.blogs.nytimes.com/2010/01/27/questioning-the-purity-of-organic-cotton/

Stern Online:
http://www.stern.de/wirtschaft/news/maerkte/gentechnisch-veraenderte-wolle-das-geschaeft-mit-falscher-biowolle-1537624.html

Süddeutsche Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/707/500969/text/

Spiegel Online:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,673315,00.html

TAZ
http://www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/alle-erwischt-man-nie/

Zeit Online:
http://www.zeit.de/wissen/2010-01/bio-baumwolle-gentechnik-betrug

ZDFheute
http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/10/0,3672,8015498,00.html


Reaktionen und Presseerklärungen:

C&A
http://www.organicexchange.org/Documents/C_A-Bio_Cotton_01-22-10.pdf

Control Union
http://www.bumbaumel.eu/bumblog/v/control-union-bio-baumwolle-aus-indien.html

Ecocert:
http://www.organicexchange.org/Documents/ECOCERT_Correction_about_%20APEDA_and_GMO_cotton.pdf

Organic Exchange
http://organiccotton.org/oc/News/news_detail.php?ID=249

Organic Trade Association
http://www.organicexchange.org/Documents/OTA_Statement.pdf

Remei AG
http://www.remei.ch/unternehmen/news-newsletter/news/post/2010/01/22/title/seit-2004-prueft-die-remei-ihre-baumwolle-auf-gvo.html

Financial Times Deutschland
http://www.ftd.de/politik/deutschland/:verbrauchertaeuschung-aigner-prangert-skandal-um-biobaumwolle-an/50064472.html

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