Future Shock 2000
von Hannes Grassegger
Beschleunigt sich unsere Welt, oder hat sich etwas Anderes verändert als die Geschwindigkeit? Hatte Theodore Kaczinsky doch etwas erkannt, als er , Una Bomber genannt, wie ein Roter Khmer den Fortschritt töten wollte? War er Opfer einer falschen Idee der Welt, waren seine Opfer wieder Opfer eines Fehlschlusses? Wer ist Opfer und wo die Gewinner?
Hat uns die Entwicklung überrannt? Alvin Toffler sprach vom Future Shock. Ist der Shock von gestern? Welche Idee haben wir von der Welt? Wer oder was bewegt sich wie?
Eins steht fest
Ideen gebären Realitäten.
Eidgenossen am Fluss
Aus Stilgründen habe ich mich 2004 von Berlin aus in die Schweiz begeben.
Seit ich in Zürich lebe, habe ich Abstand, Ruhe und: Zeit. Überraschend viel Zeit.
Die Wege sind fast komplett weggefallen, ich laufe langsamer. Ich habe mein Leben verlangsamt und das gefällt mir.
Mitten im Zürcher Niederdorf steht das alte Cabaret Voltaire, Geburtshaus des Dada, in dem auch schon Lenin den ein oder anderen Abend verbrachte und sich dort die Zeit vertrieb bis es galt zur Tat zu schreiten.
2002 stand dieses schmucke Haus mitten in der Hochpreismetropole, direkt am Touristenstrom der durch die Altstadt parallel zum Fluss Limmat fliesst, leer.
Unverständlicherweise war dieses Haus eine Lücke in der sonst durchaus korrekt organisierten Ökonomie der Schweiz. Niemand nutzte es.
Eine Definition von Nomadentum sagt, dass Nomadentum nur im Kontrast zum Nichtnomadischen, Ansässigen bestehe. Das klingt verständlich. Nomaden, heisst es weiter, nutzten bestehende Ressourcen, welche sich ihnen durch ihren Lebensstil ergäben. Sie benutzten ihre Flexibilität um diese Ressourcen optimal zu nutzen. So entwickelten Nomaden und Gesellschaft miteinander eine komplementäre Spezialisierung.
Das leerstehende Cabaret Voltaire wurde besetzt, von einer besonderen Form moderner schweizer Nomaden. Seit den frühen 1980er Jahren existiert in Zürich eine Kultur von Hausbesetzern, die es schafft, sich durch die Hausbesetzung den Luxus von Zeit als Profit zu sichern. Zeit, die sonst als Arbeitszeit für einen Mietzins von ca. 500€ für ein WG Zimmer, 2000€ für ein hübsches 4 Pièce verloren gehen würde.
Mittlerweile sind diese Nomaden weitergezogen, und ich habe die Möglichkeit mit ihnen zu wohnen. Wir haben mitten in der Stadt ein ehemaliges Bürogebäude, mit Ateliers, Schlosserei, Ausstellungsräumen, Swimmingpool, Sauna, einem 200 qm Medialab, einem Club sowie im ganzen Haus kabellosem Breitband Internet. Alles vom Überfluss geschickt abgezweigt.
Wir leben in einer der reichsten Städte, eines der reichsten Länder der Welt, wie Könige. Wir haben Zeit zu tun und zu lassen was wir wollen. Wir spielen damit Zeit zu haben, und darin liegt auch der grösste Kontrast zur rege hetzenden Gesellschaft um uns herum. Unsere Gegenleistung ist Kultur und noch wichtiger: Etwas zu zeigen: Wir haben die Beschleunigung ausgeschaltet. Wir bestimmen selber die Geschwindigkeit unseres Tages.
Verlierer
Vor meinem Haus steht eine Litfasssäule mit einer Werbung. Ich schlendere an ihr vorbei und lese den Aufmacher, ein Zitat des Amerikaners Hemingway: „Zeit ist das knappste Gut das wir haben.“
Als Ökonom wird mir sofort klar was hier gemeint ist: Ich soll mich beeilen das Richtige zu tun! Zu kaufen, zu verkaufen, auf jeden Fall die optimale Entscheidung klar zu machen, um den Nutzen der mir gegebenen knappen Zeit zu maximieren.
Ein einfacher Tausch, der sich aus dem vorherrschenden philosophischen Leitgedanken unserer Kultur herleitet, der Rationalität. Dem rein verstandesmässigen Handeln.
Ein rationaler Akteur entscheidet sich in jedem Moment neu für eine optimale Aktion. Er ist der vollkommene Opportunist. Er hat keinen Bezug zu Vergangenem, in der Theorie als sunk costs bezeichnet. Ihm ist demnach egal was bereits investiert wurde in ein Projekt, entscheidungsrelevant ist nur, seinen erwarteten zukünftigen Nutzen zu maximieren. Strategien, Projekte und Wege wechseln also, mit dem Ziel zu profitieren. Die optimale Strategie ist Nomadismus.
Fast allen, ausser den Ökonomen, ist klar, dass Menschen so einfach nicht sind. Unternehmen aber können sich so verhalten. Ein Beispiel ist Nike, eine Firma ohne eigene Produktionsstätte, die den Ort ihrer Produktion über Ausschreibungen bestimmt, bei der der günstigste Hersteller von Schuhen gewinnt. Was danach mit der Produktionsstätte passiert, ist irrelevant, ebenso was davor war. Nike zieht umher wie ein Nomade.
Wenn ein Nomade also gegebene Ressourcen optimal nutzen will, dann ist die in diesem Fall genutzte Ressource der Produktionsfaktor Arbeit. Arbeit wird von Menschen geleistet, meist um das Überleben zu sichern.
Ganz früher richtete sich diese nach gegebenen Umständen, Subsistenzwirtschaft, Grundlage der Ernährung war die Natur.
Nun leben wirklich viele Human Resources nicht mehr davon Boden zu beackern und die Scholle zu pflegen, oder die Herden übers Ackerland zu treiben. Arbeitsteilung statt Subsistenzwirtschaft. Interdependenz statt Cowboy. Sie leben von ihrem Arbeitsplatz, dieser aber kann kommen und gehen. Er ist ein Nomade?, Nein besser; Sie sollten lernen wie Nomaden dem Zyklus des Regens zu folgen. Ist das nicht schön, nicht irgendwie prosaisch?
Mein Freund im langen Winter
Ich habe einen guten Freund aus Senegal, bei dem ich eine Weile wohnte. Sie wissen: In Afrika vergeht die Zeit ganz anders! Seither besuche ich ihn öfter, und wir reden ein bisschen zusammen. Mittlerweile ist er in Spanien, in einem kleinen Dorf in der tristen Pampa, und hofft dass die Polizei ihn nie erwischt, weil er keine Papiere hat.
Er ist jetzt ein Migrant, und wir haben beide schon darüber lachen müssen, was für eine Welt ihn da eigentlich- der er ein Studium abgeschlossen hat und für einen französischen Konzern im lebhaften Dakar arbeitete- nun zum Erntehelfer gemacht hat.
Die biologische Definition der Migration hat mit der Definition des Nomadismus grosse Ähnlichkeit:
Migration occurs when living things move from one biome to another. In most cases organisms migrate to avoid local shortages of food, usually caused by winter.
Er hat wenig zu lachen in diesem spanischen Dörfchen mit 500 spanischen Einwohnern, in dem fast ständig 500-800 illegale Afrikaner wohnen. Solche Erntehelfer fallen natürlich kaum auf, vor allem wenn der Dorfpolizist der Sohn des Plantagenbesitzers ist. Jedesmal wenn ich eine Frucht aus Spanien esse, muss ich an die Hütte denken in der er mit sechs Fremden zuerst wohnte. Es klingt vielleicht etwas archaisch, aber nicht nur unsere Turnschuhe auch unser gutes EU Obst kommt von Sklaven. Ich selber habe dies gesehen. Er muss es leben. Und die Zeit läuft langsam
Vom Apfel zum Traffic
Bekanntlich sind die Menschen in grossen Städten schneller. Die Wege sind so lang. Sie rennen fast. In Berlin hatte ich einige Freunde die solches Verhalten direkt annahmen um ihre Metropolentauglichkeit zu beweisen, und nicht im Strom der Menge unangenehm als Fremde aufzufallen. Obwohl viele dort keinen wirklich existenten Beruf ausüben, haben doch die meisten viel mit ihrem Computer zu tun. Wer viel mit etwas zu tun hat, wird davon beeinflusst. Wer also viel mit technischen Geräten arbeitet, dessen Zeitwahrnehmung wird von technischer Entwicklung beeinflusst. Technische Entwicklung bedeutet in diesem Fall, dass die Menge an Informationen die von einem Computer bearbeitet werden kann, wächst. Sie wächst immer schneller. Ihre Beschleunigung beschleunigt sich immer schneller. Ein echter Selbstläufer. Wenn etwas aus sich selbst heraus erwächst sagt man autopoiesis, wenn Beschleunigung eine Zunahme der Beschleunigung selber bewirkt sagt man da autoaccelerativ? Wilkommen im Cyperspace. Alle Briefkästen sind schon da.
Der Stress beim Arbeiten mit Computern ist die Diskrepanz zwischen der Zeit des Anforderns der Information und dem Erhalt. Der Unterschied soll verschwinden fordert die innere Stimme. Und er verschwindet! Die Frequenz der Daten steigt. Immer schneller.
Ich zerleg Geschwindigkeit bis sie stehenbeleibt
Als ich ein Teenager war las ich Marx und einen Satz verinnerlichte ich: “An allem ist zu Zweifeln”. Ewiger Zweifel nervt zwar, aber es steckt so tief, ich zweifle auch hier. Ist es wirklich Beschleunigung? Die Menschen, scheint mir, haben schon länger das Gefühl alles würde immer schneller werden. Ist Beschleunigung nicht von gestern? So Margaret Mead am 4.9.1956 im Time Magazine”Es werden so viele Klagen darüber laut, dass die Gesellschaft sich zu schnell entwickeln muss, …die Leute selber müssen sich zur Entwicklung entschliessen.”.Vergleiche ich die Geschwindigkeitsveränderung eines Pizzabäckers mit der eines Grafikdesigners muss ich sagen für den Pizzabäcker sind nicht nur die Jahreszeiten unabänderlich gleich, auch die Teigscheibe braucht weiterhin gleichlang. Die Idee ist einfach: Ist der Begriff von einer Geschwindigkeit, also auch einer allgemeinen Beschleunigung korrekt?
Wenn eine gesellschaftliche Veränderung eintritt, etwas Neues passiert, dann fehlt hin und wieder das passende Wort, wir benutzen veraltete Begriffe, etwas bürgert sich ein. In den 1980ern fragte sich der Nobelpreisträger für Wirtschaft Solow: “Wir können den Computer überall sehen, aber nicht in den Produktivitätszahlen” Das Solowparadox. Es schien nicht die erwartete Beschleunigung der Produktivität eingetreten zu sein. Mittlerweile aber sitzen noch viel mehr Menschen am Rechner, vor allem in der sogenannten 1. Welt. Wenn aber- Marshall Mcluhan folgend- mit dem Medium sich die Sinneswahrnehmung ändert, ändert sich dann nicht auch die Geschwindkeitswahrnehmung all derjeniger besonders stark die es mit einem sich immer schneller arbeitendem Medium zu tun haben? Was aber ist mit den Milliarden anderer Menschen ausserhalb dieser Entwicklung?
Wir haben es klar mit einer zunehmenden Heterogenisierung der Geschwindigkeiten zu tun. Die Kongruenz der Zeit ist aufgehoben. Die Natur bleibt konstant, auch die mechanische Geschwindigkeit beschleunigt sich nicht zwangsläufig, gutes Beispiel sind vielleicht die Zugfahrzeiten, welche sich auf vielen Strecken, in Deutschland zumindest, schon seit einiger Zeit nicht mehr entscheidend verkürzen. Der Begriff der Geschwindigkeit, welcher in unseren Köpfen steckt, baut auf einem mechanistischen, newtonschen Weltbild auf. Was ist aber jetzt Zeit, und wo gilt für wen Welche? Wir stolpern hier über unseren linearen, einheitlichen Zeitbegriff. Zeit? Als ich meine Freunde in Dakar fragte warum Sie so relaxed seien, erklärten sie mir, sie würden keine Langweile kennen. Für sie war Zeit keine Strecke zwischen Start und Zielpunkt. Mir ging ein Licht auf: Der Wecker klingelte, ebenjener der früher für den Stammeshäuptling in Afrika ein echtes Zeichen von Zeitenwandel und Power war, den Flavor Flav von Public Enemy um den Hals tragend zitierte.
Die Uhr, das Symbol der Mechanisierung. Die Uhr macht Zeit zur Strecke! Eine mechanische Gleichförmigkeit, die jeder Stunde den gleichen Weg, immer im Kreis herum zuordnet. Die Kirchturmuhr die seit dem 13ten Jahrhundert uns christliche Europäer koordiniert. Sie entsprach so sehr der Empfindung unserer Vorfahren, sie wurde sogar an zwei Orten zeitgleich und unabhängig voneinander erfunden. Nochmal McLuhan (1964) “ In der Raum-Zeit Welt der Elektrizität wird die ältere, mechanische Zeit allmählich untragbar, und sei es nur deswegen weil sie gleichförmig ist”. Wenn bei uns Ökonomen etwas zusammenhängt, sagen wir es korrelliert. Wenn wir über Raum und Zeit reden, haben wir eben dieses Problem: Hängt stark zusammen! Ist dies nicht ein semantisches Problem? Zeigt nicht hier Relativität Wirkung? In der guten, alten Zeit, da gab es die mechanische Uhr. Mein Grossvater, ein echter, herzenswarmer Kapitalist schenkte mir als Kind jedes Jahr voller Überzeugung eine seiner Armbanduhren. Ich verlor Sie jedes Mal aufs Neue und bekam die Nächste. Nach zwölf Jahren war sein Vorrat am Ende, und er grub Digitaluhren aus. Die Mechanischen waren einfach am Ende. Mein Opa war Direktor einer Schraubenfabrik mit echten Fliessbändern, wie man so etwas heute wohl nur noch “beim Daimler” in Stuttgart kennt. Er ging 1980 in Rente. Für mich eindeutig das Ende der Industriegesellschaft. Heute findet ein grösserer Teil der Wertschöpfung durch Informationsverarbeitung statt. Am Rechner ist die Produktion. Im Cyperspace. Was haben wir denn da für eine Geschwindigkeit? Der Cyperspace ist kein Raum. Hier gibt es keine Strecke. Wenn ich meinen Artikel nach Deutschland schicke, wird nicht die Post ihn bringen, ich stelle ihn ins Netz. Da steht er dann, er ist gleichzeitig in Zürich und in Rio am Beach. Keine Strecke- keine Geschwindigkeit, gleichzeitig überall! Er steht still- er ist unendlich beschleunigt!
Der Beschleunigungsbegriff ist also falsch, inkomensurabel. Die Beschleunigung ist inexistent, die Änderung grundlegender. Ich muss an Kinderzeichnungen denken, die immer so verwischt sind. Kinder, sagte man mir, nehmen Objekte als bewegt wahr, bevor ihnen Opa die Uhr gibt und die Pausenglocke klingelt. Unser Zeitbegriff ist angewöhnt, nicht angeboren, unsere Wahrnehmung geprägt von der Umwelt, oder auch vom Medium. Für alle die den Paradigmenwechsel nicht verkraften gibt es am Computer die Option eine digitale, aber “uhrenhafte” Zeigerzeit einzustellen. Ich weiss jetzt warum. Wenn sich etwas so grundlegendes ändere, sagt Mcluhan, ändere sich die Stammesorganisation. Viele haben davor Angst und fühlen Schwäche gegenüber der neuen Situation, gegenüber ihrem Unverständnis. Sie sind Opfer.
Baghdad Berlin Cyberspace Connection
In Berlin ist “Opfer” für junge Rapper ein Schimpfwort. Etwas seltsam, aber gemeint damit ist: “Lass dich nicht zum Opfer machen” Ein Ereignis wird antizipiert um es von vorneherein auszuschliessen. Diese Strategie kenne ich aus der Ökonomie. Die Ökonomie ist, wie Rap eine Männerphilosophie. In der Spieltheorie, einem mathematischen Instrument dieser Philosophie, wird bei sogenannten “sequentiellen Entscheidungspielen”, und als dies betrachtet man die Welt, durch die Idee der Rückwärtsinduktion jeder Moment ins “Jetzt” geführt. Alles ist, theoretisch, im gleichen Moment, fast wie im Cyperspace. Wird zum Beispiel die sogenannte Peakoil-debatte geführt, versucht man, die ökonomischen Probleme der Zukunft heute zu antizipieren. Also: Wenn uns das Öl ausgeht in hundert Jahren sind wir dann Opfer. Wir müssen somit jetzt reagieren und uns den Irak einverleiben. Dann sind die Anderen die Opfer.
The Style of Business
Alles ist im Jetzt. Rationalität fordert absolute Optimierung. Jetzt muss praktisch alles gleichzeitig gemacht, die Zukunft antizipiert werden. Dieser Superspeed hat ein Problem: Den Menschen. Die absolute Geschwindigkeit führt zu Überforderung der Entscheider, direkt zu Irrationalität. Manager im Stress mit Faustregeln. Ein Paradoxum? Eine neue Situation. Jetzt, wo Internet und information society die Globalisierung erschaffen haben, die absolute Marktwirtschaft erst eintreten kann, ich jeden Preis weltweit simultan vergleiche, ist wirklich eine neue Zeit angetreten. Muss die Quasiplanwirtschaft die mein Stiefvater, ein Bankdirektor, in Deutschland zu erkennen glaubt, vielleicht doch reagieren? Wackeln hier nicht die Stühle? Wer sind die Opfer? Wie lange laufen die Fliessbänder hier noch um Autos made in Germany zu gebären? Ticken wir noch richtig?
Die Fatwa
Schopenhauer sagte einmal, dass Nomadismus die niedrigste aller Gesellschaftsformen sei, und ihre heutige Entsprechung im Tourismus finde. Bruce Chatwin war ein legendärer Travellerphilosoph. Er war ein moderner Nomade, ein Übertourist. Immer in der ganzen Welt am reisen. Was weniger Leute wissen: Er war Jet Set. Richtig 80er. Immer mit viel Gepäck unterwegs, wesentlich mehr als all die Mittelschichtskinder der ersten Welt im Rucksack haben wenn sie nach der Schule zur dreimonatigen Asien-Rundreise aufbrechen mit seinen Büchern im Handgepäck. Chatwin brauchte Träger. Und wie das im globalen Dorf des Jet Set so ist, man kennt sich. Als Chatwin 1989 an AIDS starb, war auch Salman Rushdie an der Beerdigung, just an jenem Tag, in dem im Iran ein islamisches Gericht eine Fatwa mit Todesurteil gegen ihn aussprach. Seitdem muss Rushdie auch immer wandern. Aber nicht aus Fun, sondern weil er immer in Lebensgefahr ist. Und an dieser Anektode zeigt sich vielleicht auch ansatzweise wo der Unterschied vom hippen, metropolitanen Nomadismus der westlichen Welt liegt, und dem, was die Mehrheit der Bewegten heute erfährt, viele die näher an der Notwendigkeit als an der Party stehen. Leute die sich keine multifunktionalen Designerrucksäcke kaufen. Leute die in die Stadt ziehen um etwas Anderes zu finden als den momentan adäquaten Ort. Leute die nicht aus Stilgründen sondern aus Notwendigkeit zu Nomaden werden. Ich grüsse Sie.
Der Autor ist Jahrgang 1980 und lebt in Zürich.
Beschleunigt sich unsere Welt, oder hat sich etwas Anderes verändert als die Geschwindigkeit? Hatte Theodore Kaczinsky doch etwas erkannt, als er , Una Bomber genannt, wie ein Roter Khmer den Fortschritt töten wollte? War er Opfer einer falschen Idee der Welt, waren seine Opfer wieder Opfer eines Fehlschlusses? Wer ist Opfer und wo die Gewinner?
Hat uns die Entwicklung überrannt? Alvin Toffler sprach vom Future Shock. Ist der Shock von gestern? Welche Idee haben wir von der Welt? Wer oder was bewegt sich wie?
Eins steht fest
Ideen gebären Realitäten.
Eidgenossen am Fluss
Aus Stilgründen habe ich mich 2004 von Berlin aus in die Schweiz begeben.
Seit ich in Zürich lebe, habe ich Abstand, Ruhe und: Zeit. Überraschend viel Zeit.
Die Wege sind fast komplett weggefallen, ich laufe langsamer. Ich habe mein Leben verlangsamt und das gefällt mir.
Mitten im Zürcher Niederdorf steht das alte Cabaret Voltaire, Geburtshaus des Dada, in dem auch schon Lenin den ein oder anderen Abend verbrachte und sich dort die Zeit vertrieb bis es galt zur Tat zu schreiten.
2002 stand dieses schmucke Haus mitten in der Hochpreismetropole, direkt am Touristenstrom der durch die Altstadt parallel zum Fluss Limmat fliesst, leer.
Unverständlicherweise war dieses Haus eine Lücke in der sonst durchaus korrekt organisierten Ökonomie der Schweiz. Niemand nutzte es.
Eine Definition von Nomadentum sagt, dass Nomadentum nur im Kontrast zum Nichtnomadischen, Ansässigen bestehe. Das klingt verständlich. Nomaden, heisst es weiter, nutzten bestehende Ressourcen, welche sich ihnen durch ihren Lebensstil ergäben. Sie benutzten ihre Flexibilität um diese Ressourcen optimal zu nutzen. So entwickelten Nomaden und Gesellschaft miteinander eine komplementäre Spezialisierung.
Das leerstehende Cabaret Voltaire wurde besetzt, von einer besonderen Form moderner schweizer Nomaden. Seit den frühen 1980er Jahren existiert in Zürich eine Kultur von Hausbesetzern, die es schafft, sich durch die Hausbesetzung den Luxus von Zeit als Profit zu sichern. Zeit, die sonst als Arbeitszeit für einen Mietzins von ca. 500€ für ein WG Zimmer, 2000€ für ein hübsches 4 Pièce verloren gehen würde.
Mittlerweile sind diese Nomaden weitergezogen, und ich habe die Möglichkeit mit ihnen zu wohnen. Wir haben mitten in der Stadt ein ehemaliges Bürogebäude, mit Ateliers, Schlosserei, Ausstellungsräumen, Swimmingpool, Sauna, einem 200 qm Medialab, einem Club sowie im ganzen Haus kabellosem Breitband Internet. Alles vom Überfluss geschickt abgezweigt.
Wir leben in einer der reichsten Städte, eines der reichsten Länder der Welt, wie Könige. Wir haben Zeit zu tun und zu lassen was wir wollen. Wir spielen damit Zeit zu haben, und darin liegt auch der grösste Kontrast zur rege hetzenden Gesellschaft um uns herum. Unsere Gegenleistung ist Kultur und noch wichtiger: Etwas zu zeigen: Wir haben die Beschleunigung ausgeschaltet. Wir bestimmen selber die Geschwindigkeit unseres Tages.
Verlierer
Vor meinem Haus steht eine Litfasssäule mit einer Werbung. Ich schlendere an ihr vorbei und lese den Aufmacher, ein Zitat des Amerikaners Hemingway: „Zeit ist das knappste Gut das wir haben.“
Als Ökonom wird mir sofort klar was hier gemeint ist: Ich soll mich beeilen das Richtige zu tun! Zu kaufen, zu verkaufen, auf jeden Fall die optimale Entscheidung klar zu machen, um den Nutzen der mir gegebenen knappen Zeit zu maximieren.
Ein einfacher Tausch, der sich aus dem vorherrschenden philosophischen Leitgedanken unserer Kultur herleitet, der Rationalität. Dem rein verstandesmässigen Handeln.
Ein rationaler Akteur entscheidet sich in jedem Moment neu für eine optimale Aktion. Er ist der vollkommene Opportunist. Er hat keinen Bezug zu Vergangenem, in der Theorie als sunk costs bezeichnet. Ihm ist demnach egal was bereits investiert wurde in ein Projekt, entscheidungsrelevant ist nur, seinen erwarteten zukünftigen Nutzen zu maximieren. Strategien, Projekte und Wege wechseln also, mit dem Ziel zu profitieren. Die optimale Strategie ist Nomadismus.
Fast allen, ausser den Ökonomen, ist klar, dass Menschen so einfach nicht sind. Unternehmen aber können sich so verhalten. Ein Beispiel ist Nike, eine Firma ohne eigene Produktionsstätte, die den Ort ihrer Produktion über Ausschreibungen bestimmt, bei der der günstigste Hersteller von Schuhen gewinnt. Was danach mit der Produktionsstätte passiert, ist irrelevant, ebenso was davor war. Nike zieht umher wie ein Nomade.
Wenn ein Nomade also gegebene Ressourcen optimal nutzen will, dann ist die in diesem Fall genutzte Ressource der Produktionsfaktor Arbeit. Arbeit wird von Menschen geleistet, meist um das Überleben zu sichern.
Ganz früher richtete sich diese nach gegebenen Umständen, Subsistenzwirtschaft, Grundlage der Ernährung war die Natur.
Nun leben wirklich viele Human Resources nicht mehr davon Boden zu beackern und die Scholle zu pflegen, oder die Herden übers Ackerland zu treiben. Arbeitsteilung statt Subsistenzwirtschaft. Interdependenz statt Cowboy. Sie leben von ihrem Arbeitsplatz, dieser aber kann kommen und gehen. Er ist ein Nomade?, Nein besser; Sie sollten lernen wie Nomaden dem Zyklus des Regens zu folgen. Ist das nicht schön, nicht irgendwie prosaisch?
Mein Freund im langen Winter
Ich habe einen guten Freund aus Senegal, bei dem ich eine Weile wohnte. Sie wissen: In Afrika vergeht die Zeit ganz anders! Seither besuche ich ihn öfter, und wir reden ein bisschen zusammen. Mittlerweile ist er in Spanien, in einem kleinen Dorf in der tristen Pampa, und hofft dass die Polizei ihn nie erwischt, weil er keine Papiere hat.
Er ist jetzt ein Migrant, und wir haben beide schon darüber lachen müssen, was für eine Welt ihn da eigentlich- der er ein Studium abgeschlossen hat und für einen französischen Konzern im lebhaften Dakar arbeitete- nun zum Erntehelfer gemacht hat.
Die biologische Definition der Migration hat mit der Definition des Nomadismus grosse Ähnlichkeit:
Migration occurs when living things move from one biome to another. In most cases organisms migrate to avoid local shortages of food, usually caused by winter.
Er hat wenig zu lachen in diesem spanischen Dörfchen mit 500 spanischen Einwohnern, in dem fast ständig 500-800 illegale Afrikaner wohnen. Solche Erntehelfer fallen natürlich kaum auf, vor allem wenn der Dorfpolizist der Sohn des Plantagenbesitzers ist. Jedesmal wenn ich eine Frucht aus Spanien esse, muss ich an die Hütte denken in der er mit sechs Fremden zuerst wohnte. Es klingt vielleicht etwas archaisch, aber nicht nur unsere Turnschuhe auch unser gutes EU Obst kommt von Sklaven. Ich selber habe dies gesehen. Er muss es leben. Und die Zeit läuft langsam
Vom Apfel zum Traffic
Bekanntlich sind die Menschen in grossen Städten schneller. Die Wege sind so lang. Sie rennen fast. In Berlin hatte ich einige Freunde die solches Verhalten direkt annahmen um ihre Metropolentauglichkeit zu beweisen, und nicht im Strom der Menge unangenehm als Fremde aufzufallen. Obwohl viele dort keinen wirklich existenten Beruf ausüben, haben doch die meisten viel mit ihrem Computer zu tun. Wer viel mit etwas zu tun hat, wird davon beeinflusst. Wer also viel mit technischen Geräten arbeitet, dessen Zeitwahrnehmung wird von technischer Entwicklung beeinflusst. Technische Entwicklung bedeutet in diesem Fall, dass die Menge an Informationen die von einem Computer bearbeitet werden kann, wächst. Sie wächst immer schneller. Ihre Beschleunigung beschleunigt sich immer schneller. Ein echter Selbstläufer. Wenn etwas aus sich selbst heraus erwächst sagt man autopoiesis, wenn Beschleunigung eine Zunahme der Beschleunigung selber bewirkt sagt man da autoaccelerativ? Wilkommen im Cyperspace. Alle Briefkästen sind schon da.
Der Stress beim Arbeiten mit Computern ist die Diskrepanz zwischen der Zeit des Anforderns der Information und dem Erhalt. Der Unterschied soll verschwinden fordert die innere Stimme. Und er verschwindet! Die Frequenz der Daten steigt. Immer schneller.
Ich zerleg Geschwindigkeit bis sie stehenbeleibt
Als ich ein Teenager war las ich Marx und einen Satz verinnerlichte ich: “An allem ist zu Zweifeln”. Ewiger Zweifel nervt zwar, aber es steckt so tief, ich zweifle auch hier. Ist es wirklich Beschleunigung? Die Menschen, scheint mir, haben schon länger das Gefühl alles würde immer schneller werden. Ist Beschleunigung nicht von gestern? So Margaret Mead am 4.9.1956 im Time Magazine”Es werden so viele Klagen darüber laut, dass die Gesellschaft sich zu schnell entwickeln muss, …die Leute selber müssen sich zur Entwicklung entschliessen.”.Vergleiche ich die Geschwindigkeitsveränderung eines Pizzabäckers mit der eines Grafikdesigners muss ich sagen für den Pizzabäcker sind nicht nur die Jahreszeiten unabänderlich gleich, auch die Teigscheibe braucht weiterhin gleichlang. Die Idee ist einfach: Ist der Begriff von einer Geschwindigkeit, also auch einer allgemeinen Beschleunigung korrekt?
Wenn eine gesellschaftliche Veränderung eintritt, etwas Neues passiert, dann fehlt hin und wieder das passende Wort, wir benutzen veraltete Begriffe, etwas bürgert sich ein. In den 1980ern fragte sich der Nobelpreisträger für Wirtschaft Solow: “Wir können den Computer überall sehen, aber nicht in den Produktivitätszahlen” Das Solowparadox. Es schien nicht die erwartete Beschleunigung der Produktivität eingetreten zu sein. Mittlerweile aber sitzen noch viel mehr Menschen am Rechner, vor allem in der sogenannten 1. Welt. Wenn aber- Marshall Mcluhan folgend- mit dem Medium sich die Sinneswahrnehmung ändert, ändert sich dann nicht auch die Geschwindkeitswahrnehmung all derjeniger besonders stark die es mit einem sich immer schneller arbeitendem Medium zu tun haben? Was aber ist mit den Milliarden anderer Menschen ausserhalb dieser Entwicklung?
Wir haben es klar mit einer zunehmenden Heterogenisierung der Geschwindigkeiten zu tun. Die Kongruenz der Zeit ist aufgehoben. Die Natur bleibt konstant, auch die mechanische Geschwindigkeit beschleunigt sich nicht zwangsläufig, gutes Beispiel sind vielleicht die Zugfahrzeiten, welche sich auf vielen Strecken, in Deutschland zumindest, schon seit einiger Zeit nicht mehr entscheidend verkürzen. Der Begriff der Geschwindigkeit, welcher in unseren Köpfen steckt, baut auf einem mechanistischen, newtonschen Weltbild auf. Was ist aber jetzt Zeit, und wo gilt für wen Welche? Wir stolpern hier über unseren linearen, einheitlichen Zeitbegriff. Zeit? Als ich meine Freunde in Dakar fragte warum Sie so relaxed seien, erklärten sie mir, sie würden keine Langweile kennen. Für sie war Zeit keine Strecke zwischen Start und Zielpunkt. Mir ging ein Licht auf: Der Wecker klingelte, ebenjener der früher für den Stammeshäuptling in Afrika ein echtes Zeichen von Zeitenwandel und Power war, den Flavor Flav von Public Enemy um den Hals tragend zitierte.
Die Uhr, das Symbol der Mechanisierung. Die Uhr macht Zeit zur Strecke! Eine mechanische Gleichförmigkeit, die jeder Stunde den gleichen Weg, immer im Kreis herum zuordnet. Die Kirchturmuhr die seit dem 13ten Jahrhundert uns christliche Europäer koordiniert. Sie entsprach so sehr der Empfindung unserer Vorfahren, sie wurde sogar an zwei Orten zeitgleich und unabhängig voneinander erfunden. Nochmal McLuhan (1964) “ In der Raum-Zeit Welt der Elektrizität wird die ältere, mechanische Zeit allmählich untragbar, und sei es nur deswegen weil sie gleichförmig ist”. Wenn bei uns Ökonomen etwas zusammenhängt, sagen wir es korrelliert. Wenn wir über Raum und Zeit reden, haben wir eben dieses Problem: Hängt stark zusammen! Ist dies nicht ein semantisches Problem? Zeigt nicht hier Relativität Wirkung? In der guten, alten Zeit, da gab es die mechanische Uhr. Mein Grossvater, ein echter, herzenswarmer Kapitalist schenkte mir als Kind jedes Jahr voller Überzeugung eine seiner Armbanduhren. Ich verlor Sie jedes Mal aufs Neue und bekam die Nächste. Nach zwölf Jahren war sein Vorrat am Ende, und er grub Digitaluhren aus. Die Mechanischen waren einfach am Ende. Mein Opa war Direktor einer Schraubenfabrik mit echten Fliessbändern, wie man so etwas heute wohl nur noch “beim Daimler” in Stuttgart kennt. Er ging 1980 in Rente. Für mich eindeutig das Ende der Industriegesellschaft. Heute findet ein grösserer Teil der Wertschöpfung durch Informationsverarbeitung statt. Am Rechner ist die Produktion. Im Cyperspace. Was haben wir denn da für eine Geschwindigkeit? Der Cyperspace ist kein Raum. Hier gibt es keine Strecke. Wenn ich meinen Artikel nach Deutschland schicke, wird nicht die Post ihn bringen, ich stelle ihn ins Netz. Da steht er dann, er ist gleichzeitig in Zürich und in Rio am Beach. Keine Strecke- keine Geschwindigkeit, gleichzeitig überall! Er steht still- er ist unendlich beschleunigt!
Der Beschleunigungsbegriff ist also falsch, inkomensurabel. Die Beschleunigung ist inexistent, die Änderung grundlegender. Ich muss an Kinderzeichnungen denken, die immer so verwischt sind. Kinder, sagte man mir, nehmen Objekte als bewegt wahr, bevor ihnen Opa die Uhr gibt und die Pausenglocke klingelt. Unser Zeitbegriff ist angewöhnt, nicht angeboren, unsere Wahrnehmung geprägt von der Umwelt, oder auch vom Medium. Für alle die den Paradigmenwechsel nicht verkraften gibt es am Computer die Option eine digitale, aber “uhrenhafte” Zeigerzeit einzustellen. Ich weiss jetzt warum. Wenn sich etwas so grundlegendes ändere, sagt Mcluhan, ändere sich die Stammesorganisation. Viele haben davor Angst und fühlen Schwäche gegenüber der neuen Situation, gegenüber ihrem Unverständnis. Sie sind Opfer.
Baghdad Berlin Cyberspace Connection
In Berlin ist “Opfer” für junge Rapper ein Schimpfwort. Etwas seltsam, aber gemeint damit ist: “Lass dich nicht zum Opfer machen” Ein Ereignis wird antizipiert um es von vorneherein auszuschliessen. Diese Strategie kenne ich aus der Ökonomie. Die Ökonomie ist, wie Rap eine Männerphilosophie. In der Spieltheorie, einem mathematischen Instrument dieser Philosophie, wird bei sogenannten “sequentiellen Entscheidungspielen”, und als dies betrachtet man die Welt, durch die Idee der Rückwärtsinduktion jeder Moment ins “Jetzt” geführt. Alles ist, theoretisch, im gleichen Moment, fast wie im Cyperspace. Wird zum Beispiel die sogenannte Peakoil-debatte geführt, versucht man, die ökonomischen Probleme der Zukunft heute zu antizipieren. Also: Wenn uns das Öl ausgeht in hundert Jahren sind wir dann Opfer. Wir müssen somit jetzt reagieren und uns den Irak einverleiben. Dann sind die Anderen die Opfer.
The Style of Business
Alles ist im Jetzt. Rationalität fordert absolute Optimierung. Jetzt muss praktisch alles gleichzeitig gemacht, die Zukunft antizipiert werden. Dieser Superspeed hat ein Problem: Den Menschen. Die absolute Geschwindigkeit führt zu Überforderung der Entscheider, direkt zu Irrationalität. Manager im Stress mit Faustregeln. Ein Paradoxum? Eine neue Situation. Jetzt, wo Internet und information society die Globalisierung erschaffen haben, die absolute Marktwirtschaft erst eintreten kann, ich jeden Preis weltweit simultan vergleiche, ist wirklich eine neue Zeit angetreten. Muss die Quasiplanwirtschaft die mein Stiefvater, ein Bankdirektor, in Deutschland zu erkennen glaubt, vielleicht doch reagieren? Wackeln hier nicht die Stühle? Wer sind die Opfer? Wie lange laufen die Fliessbänder hier noch um Autos made in Germany zu gebären? Ticken wir noch richtig?
Die Fatwa
Schopenhauer sagte einmal, dass Nomadismus die niedrigste aller Gesellschaftsformen sei, und ihre heutige Entsprechung im Tourismus finde. Bruce Chatwin war ein legendärer Travellerphilosoph. Er war ein moderner Nomade, ein Übertourist. Immer in der ganzen Welt am reisen. Was weniger Leute wissen: Er war Jet Set. Richtig 80er. Immer mit viel Gepäck unterwegs, wesentlich mehr als all die Mittelschichtskinder der ersten Welt im Rucksack haben wenn sie nach der Schule zur dreimonatigen Asien-Rundreise aufbrechen mit seinen Büchern im Handgepäck. Chatwin brauchte Träger. Und wie das im globalen Dorf des Jet Set so ist, man kennt sich. Als Chatwin 1989 an AIDS starb, war auch Salman Rushdie an der Beerdigung, just an jenem Tag, in dem im Iran ein islamisches Gericht eine Fatwa mit Todesurteil gegen ihn aussprach. Seitdem muss Rushdie auch immer wandern. Aber nicht aus Fun, sondern weil er immer in Lebensgefahr ist. Und an dieser Anektode zeigt sich vielleicht auch ansatzweise wo der Unterschied vom hippen, metropolitanen Nomadismus der westlichen Welt liegt, und dem, was die Mehrheit der Bewegten heute erfährt, viele die näher an der Notwendigkeit als an der Party stehen. Leute die sich keine multifunktionalen Designerrucksäcke kaufen. Leute die in die Stadt ziehen um etwas Anderes zu finden als den momentan adäquaten Ort. Leute die nicht aus Stilgründen sondern aus Notwendigkeit zu Nomaden werden. Ich grüsse Sie.
Der Autor ist Jahrgang 1980 und lebt in Zürich.
hannes1 - 14. Nov, 23:07
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