Arbeitgeber wollen Leidenschaft

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24 Firmen buhlten an der Universität Zürich am Career Day um hochqualifizierten Nachwuchs.

Von Hannes Grassegger

Langsam rollt die Welle der Studierenden an. Anna-Rebecca Sukkau (25) hofft, dass sie sich richtig vorbereitet hat, dass sie die vielen Fragen, die an der Karrieremesse über sie hereinbrechen werden, richtig beantwortet. Und dass sie beim Nachwuchs Interesse für ihr Unter- nehmen wecken kann.

Für die Studentinnen und Studenten, die an diesem Mittwoch an den Career Days im Lichthof der Universität Zürich durch die Reihen der Unternehmens- Stände strömen, ist die schlanke blonde Frau das reale Gesicht eines potenziellen Arbeitgebers. Rebecca Sukkau verkörpert einen Konzern mit 64 600 Ange- stellten in 130 Ländern: das Kosmetik- unternehmen L’Oréal.

Riesige Firma

Sukkau ist «HR Marketing»-Verantwortliche von L’Oréal Schweiz mit Sitz in Genf. Seit einem Jahr hat sie diese Stelle. «Meine Hauptaufgabe ist es, Studentinnen und Studenten zu treffen», erklärt die Absolventin der London School of Economics. Besonders an solchen Prä- sentationen sei sie Dienstleisterin: «Ich soll Fragen beantworten und registrieren, was potenzielle Mitarbeiter für Fragen zu L’Oréal im Kopf haben.» Das helfe dem Unternehmen, die Stimmung im Markt zu erkennen.

Acht solcher Karrieremessen hat die junge Personalerin pro Jahr an verschiedenen Universitäten zu besuchen, daneben Workshops, Auftritte in Vorlesungen und Unternehmenspräsentationen. Auch an diesem Schlusstag der Zürcher Messe stellt Sukkau ihr Grossunterneh- men vor.

Sukkau vertritt aber nicht nur ein riesiges Unternehmen, sondern auch eines, das sehr verschiedene Karrierepfade er- möglicht. An der Uni Zürich gibt es Studenten der verschiedensten Fachrichtungen und mit unterschiedlichsten Interessen. Die Herausforderung besteht nun darin, Angebot und Nachfrage einander näherzubringen.

Männer besonders gefragt

In ihrem auf Englisch gehaltenen Frontalvortrag führt Sukkau die Zuhörer – knapp zwanzig Frauen und drei Männer – durch die Unternehmensstruktur und Produktpalette des Kosmetikunternehmens. Es ist mucksmäuschenstill, viele sind eigens für die Präsentation gekommen. «Sie werden immer wieder das Wort ‹Passion› hören», sagt Sukkau, «Leidenschaft für die Aufgabe ist zentral für uns.»

Um gezielt Männer für L’Oréal zu interessieren, hebt sie hervor, wie viel ökonomisches Feingefühl für alle Stellen benötigt werde. Etwa ein Drittel der Mit- arbeiter in der Schweiz sind Männer. Dann erzählt sie von «Fast Track Ca- reers», die bei L’Oréal möglich seien. Ge- sucht für die über dreissig Einstiegs- praktika pro Jahr würden nicht nur Wirtschaftsabsolventen. «Auch für eine Literaturstudentin mit Praxiserfahrung im Verkauf könnte das Praktikum interes- sant sein.» Der «Fast Track» bei L’Oréal, die Einstiegspraktika, sind eine Art kurzes, sechsmonatiges und betreutes Traineeprogramm, in dem die Praktikanten durch mehrere Abteilungen des Unternehmens geführt werden.

Nach dem Vortrag wird Sukkau umringt von Fragestellerinnen. Eine junge Frauen im apricotfarbenen Deuxpièces meint es besonders ernst. So ziehen sich auch Studentinnen der Uni Zürich nicht jeden Tag an. Die junge Frau würde am liebsten gleich anfangen: Ob man bei L’Oréal französisch sprechen müsse und wie man sich für Auslandsstellen bewerben könne, fragt sie.

Firmenmessen wie die Career Days sind selten der erste Schritt ins Berufsleben. Sie liefern keine tiefen Einsichten oder wirklich direkten Kontakt zum Unternehmen. Vielmehr gibt es ein oberflächliches Kennenlernen, bei dem man ein paar Worte mit Firmenmitarbeitern wechseln, einfache Fragen stellen kann, ohne dass sie einem krumm genommen werden. Die Firmen werben für sich, machen kleine Geschenke wie Stifte oder Täschchen. Alles ist Hochglanz, während man sich als Student nicht in Schale werfen muss. Zweiter Vorteil: man kann die Stimmung eines Unternehmens erspüren. Rekrutiert wird im Rahmen der Career Days von L’Oréal nicht. Gleich abgewiesen werden jene, deren berufliche Ziele sich im Kosmetikunternehmen nicht erreichen lassen.

Alles sehr junge Leute

Derzeit seien die Bewerber nicht knapp, sagt die Personalverantwortliche. Wie bei allen anderen 24 an der Karriere- messe vertretenen Unternehmen steht auch bei L’Oréal neben Sukkau auffal- lend junges Personal Rede und Antwort. Zwei von ihnen erzählen, wie sie sich selber als Studenten in den Standbesuchern wiedererkennen würden. Beide finden die Messe sinnvoll. «Man sieht sonst überall nur die Imagekampagnen der Unternehmen», sagt der 27-jährige L’Oréal-Angestellte Eren Karakus. Hier könne man sich mit echten Unterneh- mensmitarbeitern unterhalten, das Image hinterfragen.

Nicht nur Finanzbranche

Genau dafür organisiert der internationale Studentenverband Aiesec seit Jahren Career Days. Auf Freiwilligenbasis, von Studenten für Studenten. Der direkte Kontakt mit jungen Angestellten der Unternehmen, so Präsidentin Mirella Haldimann, garantiere einen Nut- zen für Studierende, die am Anfang ihrer beruflichen Karriere stünden.
Die Firmenmesse an diesem Mittwoch bezeichnet Mariella Haldimann als Finale einer einwöchigen Serie von Informationsveranstaltungen und Firmen-Workshops. Nicht alle hielten es dabei so wie L’Oréal. Einige würden auch direkt rekrutieren und Absolventen anstellen. Um für alle Studienrichtungen interessanter zu werden, wünscht sich Aiesec künftig mehr Firmen ausserhalb der Finanzbranche.

Die Bank- und Finanzbranche stellt weit über die Hälfte der Stände. Zudem steht dort auch am meisten Personal. Bei den Beratungsunternehmen Ernst & Young und KPMG findet man junge Wirtschaftsprüfer, Berater, Personaler, Ac- countants. Hier gibts Marker zum Mitnehmen, und Ernst & Young präsentiert eine schicke Lounge mit halbrundem Sitzkreis. Ein wenig verlassen dagegen wirken die kleineren Stände, oft von Personalagenturen, deren Namen Studenten kein Begriff sind und bei denen man sich schwer vorstellen kann, wen genau sie ansprechen wollen.

Zuckrige Stimmung

Bei L’Oréal ist klarer, welche Leute ge- fragt sind. Hier gehts um Produkte, Mar- keting und Glamour. Von Morgens um neun bis Veranstaltungsende um halb fünf kommen konstant Interessenten. Etwa jeder Dritte, der am halbkreisför- migen L’Oréal-Stand stehen bleibt, spricht die Firmenvertreter an. Um die hundert Gespräche erwartet Sukkau am ganzen Tag. Ganz selten werden dabei Visitenkarten ausgehändigt.

Die Stimmung ist bei den meisten Erstkontakten sehr zuckrig. Andere fordern die Firmenvertreter auch heraus, stellen schnippische Fragen nach Arbeitszeiten und Tierversuchen. Manche scheinen zum Flirten gekommen zu sein. Wieder andere schnappen sich einfach die Lippenstiftproben und gehen in den Mittag.

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