Mount Eerie - Ich bin die Welt und Welt ist in mir
Viele junge Folker besingen die Natur. Der US-Act Mount Eerie lässt sie selber singen. Sein aktuelles Album Wind’s Poem präsentiert der von Punk und Natur inspirierte Einzelgänger Phil Elverum jetzt mit Band.
für taz kultur von Hannes Grassegger
Bäume entwurzelnd, Felsen schleifend, in den Blättern wispernd, fast singend. Laut krachende Gitarrenwände, leise streichende Synthesizer, brutale Drumtiraden, donnernde Gongs und dazwischen sanft, eher erahnbar Gesang: „Voice of Wind, the Air in the Branches, sounded like Words“. Phil Elverum alias Mount Eerie verleiht gleich zu Beginn seines aktuellen, Ende 2009 veröffentlichten Albums Wind’s Poem dem Wind seine Stimme. Nun hat der in den USA Kultstatus genießende, bescheiden auftretende 31-jährige Einzelgänger eine Tourband formiert um sein gewaltiges Konzeptalbum live aufzuführen. Rund um die Welt, unter anderem auch in Köln, Berlin und Nürnberg.
Sein erstes Deutschlandkonzert hinterlässt kraftvolle Eindrücke einer grossen Gefühlswelt, musikalisch zwischen Notwist und Nirvana, getragen von Elverums sachter, ungeformter Stimme. Möglich, dass der Heimproduzent, wie er selber sagt, mit jedem Album besser wird. Sicher, dass die Komplexität seiner musikalischen Naturpoesie live gut zugänglich wird, mit den symmetrisch arrangierten zwei Drummern und zwei Keyboardern um ihn, den Multiinstrumentalisten als Frontmann mit Gitarre.
Eine Musik der Landschaft
Kritiker verorteten Mount Eerie meist in der US-amerikanischen Weird Folk Szene. Dabei ist Elverums experimentelle, freiheitlich-spontane Do-It-Yourself-Machart stilistisch zwischen leichten Synthpop- und Lo-Fi Songwriternummern; Feldaufnahmen und krachenden Metal-Attacken völlig Folk-untypisch. Gar nicht weird ist auch sein klares kompositorisches und lyrisches Narrativ, mit welchem Elverum sein postromantisches Epos, in dem Natur erst durch den Menschen zur Sprache kommt, über nun 18 Mount Eerie Releases hin entwickelt hat.
Verwandt ist der Neo-Naturalismus Mount Eeries ideell eher mit Country, verstanden als eine Musik der Landschaft, der Berge, Winde und Wälder. Jedes seiner selbstproduzierten Alben vereint uramerikanische Motive von Heimatliebe und Freiheitsdrang. Seine Definition dieser sonst oft konservativ interpretierten Positionen verbindet Elverum mit anderen Alt-Country Grössen wie Bonnie „Prince“ Billy. Elverum selber sagt, er wolle den Amerikanern, die oft in fünf gesichtslosen Städten nacheinander aufwüchsen und wüssten, dass sie auch bald wieder gehen würden, „a sense of place“ geben, Identität, wie er im Interview Ende März in der Schorndorfer Manufaktur erklärt.
„I’m in the world and the world is in me“
Zur Identität gehört für ihn die Umwelt. Seit er 2003 plötzlich seinen vorherigen Künstlernamen The Microphones ablegte, geht es Elverum um die existentielle Frage was drinnen und was draussen ist im Begriff Mensch. Er beantwortet sie in der Sprache der Gefühle. Seine Musik besingt in immer neuen Variationen, mit sich über mehrere Alben ziehenden Liederzyklen und Querverweisen, die unauflösbare Verbundenheit des Einzelnen mit seiner Umwelt. „I’m in the world and the world is in me“, singt er in seinem typischen Subjektivismus auf dem hervorragenden 2005er Album No Flashlight, das er konsequenterweise teils in der freien Natur, teils zuhause im Studio aufnahm.
Auch eine politische Ebene eröffnet sich. Elverum schafft einen popkulturellen Zugang zum Spannungsfeld zwischen Freiheitsliebe und Umweltbewusstsein.
Umweltbewusstsein ist für ihn Vorraussetzung zum befreiten Selbstbewusstsein. Der belesene Autodidakt bezieht sich dabei auf Gary Snyder, den widerspenstigen Beatpoeten und Vertreter der Ecopoetry, sowie Henry David Thoreau, den amerikanischen Anarchisten, welcher am 4. Juli 1845 in eine selbsterbaute Waldhütte zog um dort sich selber in der Natur zu finden. Gemeinsam ist allen ein individualistischer Naturbezug jenseits ökonomischer Verwertungslogik oder tiefenökologischem Spiritualismus.
Im Winter 2002 auf 2003 zog Elverum für mehrere Monate allein in eine Hütte in Norwegen, dem Land seiner Vorfahren. Zurückgekommen, ließ er sich am Fuße des realen Mount Eerie nieder, an seinem Geburtsort Anacortes, im äußersten Nordwesten des Staates Washington, zwischen Seattle und der kanadischen Grenze.
Er hatte wohl erkannt, dass er genügend über Mikrophone und die Do-It-Yourself Philosophie gelernt hatte bei seinem früheren Punklabel, Calvin Johnsons K-Records. Genug um selber zum Berg zu werden. Seitdem nennt sich Phil Elverum folgerichtig Mount Eerie.
Termine: 12.4. Subway, Köln; 13.4. Festsaal Kreuzberg, Berlin; 19.4. UT Connewitz, Leipzig (letztes Konzert der Tour).
Website: http://www.pwelverumandsun.com
hannes1 - 13. Apr, 08:15