Gott hat einen Vogel

Mit Andrew Bird und Vic Chesnutt kommen zwei Songwriter in die Rote Fabrik, die vor allem vor Musikjunkies spielen. Im Umgang mit diesem schwierigen Volk benutzen beide dieselben Tricks: Melancholie, um die Seele anzufixen, und Ironie, um die Gefühle abzuknallen.

andrew-bird

Von Hannes Grassegger
Andrew Bird ist wie ein Klassenbester, der auch noch cool ist. Der Typ macht alles richtig, was Kritiker sonst immer an Musikern bemängeln: Erstmal spielt er Folkrock. Manche nennen ihn Singer-Songwriter, er komponiert also alles selber. Das ist der erste Schlüssel zur Gunst der meisten Musikfreaks. Weiterhin hat Bird Musik studiert; seine Texte sind voller Fremdwörter und vermitteln den Anschein tiefsinniger Philosophie; er zupft (!) neben der Geige auch die Gitarre, singt dazu und pfeift ganz wie ein Vögelchen. Dann ersinnt er komplexe Songstrukturen, verfällt niemals simpler Refrainschematik und verzichtet dennoch nicht auf eingängige Hooklines. Live ist der 34-jährige Beau zeitgemäss und experimentell, loopt sich mit Samplerschnickschnack, nimmt rasch das nächste Instrument zur Hand, spielt flott was drüber. Oft ist er allein auf der Bühne, mit Händen und Füssen Klänge produzierend, singend, sampelnd, pfeifend, fidelnd - eine Menschmaschine mit Biotouch.


Doch im Gegensatz zu all den schlaffen Folkbrüdern passiert bei Bird sogar rhythmisch einiges. Hin und wieder klingt Zydeco durch, da fängt derKritiker an, sich wohl zu fühlen, mitzuswingen fast. Aber tanzbar wirds dann doch nicht. Wär ja auch zu oberflächlich. Birds Sound hat diese gewisse Melancholie, ohne die man nicht ernst genommen wird im Business. Aber (und damit sackt er die letzten hartnäckigen Widerständler ein): Er hat auch Ironie. Es ist doppeldeutig stilvoll, wie sich der Amerikaner auf Youtube mit seiner Geige in Paris zeigt, das Klischee beim Schopfe packend, am Montmartre musizierend. Er ist ein Dandy, ein bisschen posh, beinahe britisch. Ach, und aus dem Chicagoer Untergrund kommt Bird auch noch, viele seiner zwölf Alben sind vergriffen. Es hat etwas Edles, wenn man abends unter Kollegen eine der seltenen Scheiben auspackt.

Andrew Bird ist ein Musikmonster. Ganz sicher nicht Teil einer Jugendbewegung, sondern in den luftigen Höhen eines Nick Drake zu finden. Und wenn es nur einen Gott geben sollte, so wird er sich auf Reisen sicher dann und wann von Bird vertreten lassen.

Jetzt aber ist der Vogel ausgeflogen und gibt sein einziges Konzert im deutschsprachigen Raum. Es wird sicher lustig zuzusehen, wie all die Plattensammler, Plattenhändler, Skeptiker und Kenner lauschen, während Bird mit seinem Perkussionisten und Multiinstrumentalisten Martin Luther King Chavez Dosh auf der Bühne (hoffentlich) wie ein ganzes Orchester klingt.

Zürich, Rote Fabrik, Seestr. 395

Mi 14.11., 21 Uhr

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