Digitale Eingeborene im Hörsaal

Von Hannes Grassegger

Es müsste eine einfache Frage sein für einen Experten wie ihn: Was machen eigentlich Studenten im Netz? Doch Martin Zimper zögert. «Gute Frage», murmelt er ins Telefon. Zimper ist Leiter des Vertiefungsstudiengangs CAST, an welchem Design-Studenten der Zürcher Hochschule der Künste erlernen, wie sie Stories im digitalen Zeitalter optimal transportieren. Er hat jeden Tag mit Studenten zu tun, die aktiver im Netz sind als andere.

Für Martin Zimper sind die heutigen Studenten «Digital Natives», digitale Eingeborene. Aufgewachsen mit digitalen Medien würden sie nicht mehr trennen zwischen realer und virtueller Welt. Sie seien ständig online, auch im realen Leben umgeben von einer digitalen Wolke, auf die sie mittels verschiedener Geräte zugriffen, meist über Social Communities wie Facebook. Durch Feeds und Likes würden Studenten erhalten, was sie interessiere, empfohlen von Leuten, mit denen sie durch gemeinsame Interessen verbunden seien.

Miss-Wahl und Flirtseite

Zimpers Beobachtung ist, dass sich Studenten in ihrem Internet-Verhalten nicht gross von ihren Altersgenossen unterscheiden. Das bestätigt die Statistik von Students.ch, einer Plattform die sich auf das studentische Leben spezialisiert, von der Wohnungssuche über Jobs, zu Musiktipps oder zum Filesharing von Studienarbeiten. Besonders beliebt bei Students.ch sind Service-Angebote, der Wohnungs- und Jobmarkt, gefolgt vom Flirten in der Community. Eifrig genutzt würde die virtuellen Bewertung der Campusgirls – eine Art studentische Missenwahl. Klare Tendenz sei, dass Studenten sich immer öfter über Smartphones einloggten: «Flirten unterwegs wird populär.»

Praktische Angebote sind wichtig. Roger Stupf, der die Website der Uni Zürich betreut, war erstaunt: der lang vergessene Marktplatz der ETH und Uni Zürich ist nach Startseite und Vorlesungsverzeichnis die drittbeliebteste Adresse der UZH. Eigentlich habe man schon schliessen wollen, nun erneuere man die Seite und säubere sie von unseriösen Angeboten.

Bei der ETH Zürich ist die Topseite der von Aussen angewählten Pages eine Überraschung: Der Schweizerische Erdbebendienst mit knapp 2 Millionen Hits pro Monat. Danach komme die ETH Startseite mit etwas über einer Million Hits, dicht gefolgt von ETH Life, der «Hauszeitung», wie Webmaster Reto Ambühler sagt. Die ETH bestehe Online aus 300 Königreichen, sagt er, das Userverhalten erfasse niemand zentral.

Rund um die Uhr im Netz

Studenten sind eigentlich rund um die Uhr im Netz, neben dem Laptop auch oft noch mit dem Smartphone. So sieht das auch in der Mensa, der Aula und vielen Vorlesungen aus. Schnell noch mit dem iPhone Facebook checken, dann auf dem Laptop die Folien bearbeiten. «Die Studenten», sagt Stupf, «informieren sich zu Unifragen quasi nur noch per Internet. Alles andere ist marginal.»

Was Studenten im Netz ausmacht, ist ihr Lebensrhythmus. Roger Stupf notiert auf der Uni-Website durchschnittlich 60 000 Besuche pro Tag. Es gehe erst ab acht zaghaft los, Spitzenzeiten seien 11 Uhr und 14 Uhr. Am Abend flache der Besucherstrom kaum ab. Bis Mitternacht blieben die Studenten. An der ETH beobachtet man ähnliches: Nur zum Mittagessen gegen eins und Abendessen um sieben sei kurz weniger los. Am Wochende aber haben Studenten frei: da halbiert sich laut Stupf der Traffic. Studium ist für viele Studierende ein Job.

Bei Students.ch hingegen schauen die Studenten in der Freizeit vorbei. Morgens von sieben bis neun, abends ab fünf sind die Spitzenzeiten für das digitale Privatleben.

Drei Studenten im Interweb:

Gian König, 23 Jahre, ETH Zürich, Student Bachelor Maschinenbau

Meine Startseite und häufigster Aufruf ist die NZZ. Politik im In- und Ausland interessiert mich, Social Communities weniger. Ein Facebook Profil hab ich nicht. Meistens geh ich über den Laptop ins Netz. Sehr selten mit iPhone. Damit schau ich meist im Zug kurz nach dem Wetter oder auf dem Tages-Anzeiger App die News. Während dem Essen und Vorlesungen gehe ich aus Prinzip nicht ins Netz, dafür oft am Abend. Meine Tipps: achgut.com, ein deutsches publizistisches Netzwerk. Und physorg.com, da gibts News zu Technologie, Physik, Astronomie und Energie.

Shane Lutomirski, 19 Jahre, Uni Zürich, Germanistik

Ich besuche am meisten die Hotmail Seite, einfach um meine Mails abzurufen. News hole ich mir eher aus den Zeitungen, gedruckt also. Ich geh fast immer mit dem Laptop ins Netz. Auf dem iPhone ruf ich nur Mails ab und derzeit, weil ich die Uni noch nicht gut kenne, die Lagepläne der UZH Seite. Auf keinen Fall ins Netz geh ich während Theatervorstellungen. Aber wir sind auch schon im Gymnasium während der Stunden manchmal kurz ins Netz. Allerdings vermeid ich grade in meiner Freizeit das Internet, weil ich für die Uni derzeit unentwegt Folien und Skripte und Texte runterlade und anschaue.

Giorgia von Niederhäusern, 24 Jahre, Uni Zürich, Anglistik und Italianistik

Number One ist bei mir Facebook, sicher meine häufigste Seite. Da geh ich auch in meinen Arbeitspausen drauf, immer wieder mal zur Entspannung, aber nur für zehn Minuten. Aus Facebook krieg ich auch meine News. Oder auch vom Bluewin-Portal, wo ich meine Mails abruf. Ich weiss genau, wann ich nicht ins Netz geh: Während Vorlesungen, beim Essen und beim Schlafen. Für Anglistik Studenten kann ich die Seite sparknotes.com empfehlen. Zusammenfassungen und Kommentare von und zu Klassikern. Für studentisches Leben ist students.ch sinnvoll: dort kann man Jobs und Wohnungen suchen.

Artikel im Newsnetz: http://www.tagesanzeiger.ch/digital/internet/Digitale-Eingeborene-im-Hoersaal/story/13717387

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