Easy Eritrea Trip

Ein jüngst erschienenes Album der Asmara Allstars erschliesst einen vielfältigen, hierzulande beinahe unbekannten Musikkosmos.

Hannes Grassegger

Da scheppert und kratzt nichts. Und Synths findet man keine. Stattdessen weht dem Hörer des ersten Albums der eritreischen Jazzformation Asmara Allstars ein cleaner Fahrtwind aus westlicher, arabischer, afrikanischer und asiatischer Musik entgegen, getragen von einer steten Brise Reggae und Funk. Klar, entspannt, etwas abenteuerlich. Klingt so Eritrea?

Nicht ganz. Man habe einen neuen eritreischen Bandsound erschaffen, schreibt Bruno Blum, der französische Produzent des „Eritrea’s got Soul“ betitelten Debuts der von ihm in der Hauptstadt Eritreas zusammengestellten Studiogruppe. „Eine informierte, traditionsgeladene, elektrische Musik zwischen Big Band, eritreischem Jazz, Soul und Roots-Reggae“. In acht Landessprachen wird gesungen, regionale Stile werden mit Reggae gekreuzt oder Bass unterlegt, Bloom Brothers Mood, das Finale der CD klingt, als würde Wes Montgomery mit Äthiopiern über einen Bossa Standard jammen. Seit jeher ein heikles Feld, Fusion-Projekte von Westlern mit afrikanischen Musikern.

Allerdings haben unlängst der distinguierte Vibraphonist Mulatu Astatke mit dem Either/Orchestra oder der freidenkerische Saxofonist Getatchew Mekurya mit den holländischen Avantgarde Punkern The Ex bewiesen, wie mitreissend solche Kooperationen im Jazzbereich mit Äthiopiern klingen können. Weltweit Bekanntheit erlangte der Ethio-Jazz 2005 durch Yekermo Sew, das melancholische, spannungsgeladene und doch leichte Instrumental von Mulatu Astatke in Jim Jarmuschs Vater-sucht-Sohn Film Broken Flowers.

Schon seit 1999 hatte die „Ethiopiques“ Reihe des Buda Labels die Exzellenz des äthiopischen Jazz belegt. Einige der dort aufspielenden Musiker kamen eigentlich aus Eritrea, das sich erst 1993 nach dreissigjährigem Unabhängigkeitskampf von Äthiopien unabhängig erklärt hatte. Man teilt die typischen Bigband Bläsersätze; die für die subtile Mysteriösität der Musik verantwortliche, auch in Japan auffindbare Mollpentatonik; ebenso die derart gestimmte 5-saitige Krar, eine der griechischen Lyra ähnliche Harfe mit Resonanzkörper.

Das Album der Asmara Allstars ist nichts für linientreue Puristen. Und ist genau daher ein doppelter Erfolg. Zu allererst macht es auf angenehme Art den hierzulande beinahe unbekannten eritreischen Musikkosmos in seiner Vielgestaltheit zugänglich. Blums etwas generischer Soundteppich führt sanft zu der in ihrer Eigenheit unantastbaren Musiktradition und auch zu Entdeckungen wie dem aufregenden Soulfalsett des Jungstars Temasgen Yared, der im wunderbaren Ykre Belni druckvoll und zischend antritt, die These des Albums zu beweisen: Eritrea's Got Soul.

Der zweite Erfolg besteht darin, für die isolierten eritreischen Musiker eine Tür aufgestossen zu haben, Inspiration zu bringen. Während Äthiopien im Rampenlicht steht, hat Eritrea sich von der Welt abgewendet. Eine Einheitspartei reguliert strikt die Leben der 5,8 Millionen Eritreer. Mit einem pro Kopf Einkommen von 700 Dollar im Jahr liegt das Land auf Platz 224 von 229. Die Musikbranche wird staatlich kontrolliert, weil sie wichtiges Medium für soziale und damit politische Bewegungen sein kann. Traditionen spielen eine grosse Rolle.

Blums Vorgehen war ein Skandal. Den ihm vom Staat vorgeschlagenen Musikern gab der Alt-Punk und Ex-Bob Marley Produzent vor, Gwaila, den eritreischen National-Beat schlechthin, durch eine Bassline zu ergänzen, auf Keyboards zu verzichten, analoge Klänge einzusetzen. Zaghaft spielten diese mit. Als die Behörden das Resultat „Eritrean Girl“ vernahmen, blockierten sie das Projekt.

Blum blieb zäh, auch die Musiker hatten Gefallen gefunden am neuen Ansatz. Nach drei Wochen ging es weiter, immer besser funktionierte der Austausch. Herauskam ein empfehlenswertes Album. Nicht ganz ein eritreisches Buena Vista Social Club, doch ein angenehmer Trip in neue Gefilde.

Anfang Oktober fand das Releasekonzert in Asmara in einem alten italienischen Kino aus der Kolonialzeit statt. Einen passenderen Ort zum gemeinsamen Träumen hätte man sich nicht aussuchen können. Stilecht verboten die Behörden den angereisten Journalisten den Auftritt zu filmen.


Asmara Allstars Myspace



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