"Die Titanen von Zürich"

Mr. Soul

Mr. Soul, zwei dürre Zürcher Nachtvögel haben auf eigene Faust eine Synthpop EP veröffentlicht, die tanzbaren Stoff bietet und Plattenhändler begeistert.

Von Hannes Grassegger

In den Schaufenstern vieler Zürcher Plattenläden fällt sie seit einiger Zeit auf, die füllige Blondine im 80s Aerobic Oufit. Zufrieden stretcht sie sich auf dem Cover der neuen Mr. Soul Maxi. Ein Vinyl im raren 10 Zoll Format, das seit der Releaseparty des Zürcher Duos Ende Januar für ungewöhnliche Reaktionen sorgt. Besonders bei Plattenhändlern.

Diese Händler sind abgeklärte Spezialisten, sie haben ja schon alles gehört. Hunderttausende Harmonien, die meist direkt aufs Gemüt abzielen, liessen sie über Jahrzehnte verhärten. Was für normale Menschen ein super Song ist, lässt bei abgebrühten Plattenhändlern wie Woody, dem eigenwilligen Leiter der Jamarico Musikabteilung am Helvetiaplatz, Hänsel, dem langhaarigen Geschäftsführer des Zero Zero oder Veit, dem introvertierten Lockenkopf, kein müdes Lächeln aufkommen. Bei Mr. Soul ist das anders.

Glückliche Plattenhändler

Veit Stauffer orderte soeben die zweite Charge Mr. Soul EPs innerhalb eines Monats; Hänsel liess sich die Platte signieren. Sammler der auf 342 Stück limitierten Erstpressung, die nur auf Vinyl erschien, könnten das schätzen. Fragt man Woody nach Mr. Soul und Ihrer neuen EP „Stretchin’ Out“, legt er los: Songwriting mit Synthesizer und Gitarre; Disco, Indiepop, Elektro, Chanson, Progrock, was in den paar Stücken alles drinstecke, zeige da seien Kenner am Werk. „Mr. Soul sind die Titanen von Zürich“, Woody strahlt. Oha.

Recht hat er! Mr. Soul sind keine normale Band. Mr. Soul sind Melodienschichter. Die Musik verbindet Kaufleuten und Kalkbreite Squat. Der zweite Track auf der EP, „Living in the night“, wird im Netz als „herrliche Synthesizer Hymne“ gehandelt, ein eingängiger Frauen-Refrain jubelt da über treibendem, discoiden Geplucker zwischen Daft Punk und Gloria Gaynor; euphorische Synthbläsersätze, sexy Gestöhne - das ist eine gute Party. Davor kommt, als Intro der Maxi, eine Synthpopnummer die auf Saiteninstrumenten gestrichen auch am KKL reüssieren könnte, so aber nach den melodiösen Elektropop-Facetten der französischen Pop Band „Air“ klingt. Sogar Vocoderstimmen zu heulenden Gitarren in der pathethischen Melancholie von Neil Young finden sich auf dem im Eigenverlag vertriebenen Mini Album. Ob mit Marimbafon, Gitarre oder Sequenzer eingespielt, jede der vom Zürcher Studioboss Dan Suter sauber gemasterten Nummern böte normalen Bands Stoff für drei Hits.

Vorhang auf

Auf den ersten Blick sind die „Titanen“ zwei dürre Nachtvögel, die man meist nach Mitternacht in der berüchtigten Spelunke Meier’s am Lochergut trifft. Mr. Soul sind der ruhige schwarzlockige Stadtzürcher Arthur Fornallaz, 30, und sein hippeliger, in Sargans geborener, blonder Bandgenosse Lukas Müller, 32. Über 100 Konzerte gaben die Musiker in den gut drei Jahren ihrer offiziellen Bandgeschichte. „Wer uns Geld und Essen gibt, für den spielen wir“, nickt Fornallaz. Debütiert habe man in WG Zimmern, derzeit spielen Mr. Soul eine vierteilige Serie im Zürcher „Exil“ (siehe Kasten).

Komponiert wird gemeinsam, im Studio in der Roten Fabrik. Lukas Müller spielt Bass, programmiert Sequenzer und tippt einhändig die Tasten. Früher, in Sargans spielte er fleissig Waldhorn. Weil Bands mit Waldhörnern auch im St. Galler Hinterland selten sind und Lukas „immer nur tiefe Töne spielen wollte“, riet man ihm zum Umstieg auf den Bass. Gitarrist und Sänger Fornallaz, der manche Konzerte auch mit Chansons bestreitet, kommt aus einer musikalischen Familie. Er ist Enkel einer verhinderten französichen Opernsängerin, seine Eltern mochten es gepflegt. Brav erlernte er die klassische Gitarre. Mit 18 kaufte er sich gegen den Willen der Familie eine E-Gitarre. Lange spielten beide in Bands - die ihnen viel zu selten auftraten.

Sozialismus als Rettung

Die Rettung kam, als sich die beiden kennenlernten, 2006 in der marxistischen Studentengruppe an der Universität Zürich. Damals trieben beide sich durch Studiengänge, Müller als Musikwissenschaftler (was man ihm nicht ansieht), Fornallaz als Ethnologe. Eines Tages tanzte Fornallaz im Aktionskommitee der Studentengruppe an. Zur Tat schritt man glücklicherweise an den Tasten der Synthesizer die Lukas Müller sammelt. Man coverte eine Neil Young Nummer, erkannte sich als Band und benannte sich nach dem uralten Neil Young Song „Mr. Soul“ - einem Lied das Young über Jahrzehnte in den verschiedensten Versionen aufnahm, zwischen Lagerfeuergitarre und Diskonummer mit Vocoderstimme.

Das mit dem Sozialismus steckt den beiden im Gemüt. Sie haben einen Plan und einen Vision. Der Plan beinhaltet die erste 7-Zoll-Single von 2007, die aktuelle 10 Zoll EP von 2010 und „bald“ ein 12-Zoll-Album. Die Vision ist, ein „richtig kapitalistisches Management“ zu finden. Wie singt Neil Young in Mr. Soul: “You're strange, but don't change”.

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