ZEIT online: Gib Mir Feierabend

Gib mir Feierabend!

Schluss mit Homeoffice, modularen Büros und fließenden, erweiterten Arbeitszeiten: Der Achtstundentag von neun bis fünf ist das beste Modell, das wir haben.


Es gibt nichts verdammt Cooleres auf der Welt als einen 9-to-5-Job. Die ganze Pracht eines eigenen unverrückbaren Schreibtischs, den man zu vernünftigen Tageszeiten besucht, um sich in dieses Schlamassel namens Arbeit hineinzustürzen wie die Perser im Hollywoodfilm 300. Oder die Typen, die von diesen Klippen hineinspringen, in den weiten Ozean, und dann kommt der harte Aufprall, das Ringen mit dem kalten, tiefen Wasser, das kraftvolle Hinaufstreben ans Licht, und endlich, die Sonne im Gesicht: So fühlt sich Feierabend an.

Fünf Uhr ist die optimale Zeit dafür: Heimspazieren nach getaner Arbeit, Freunde grüßend auf der Straße, fröhlich ein Köfferchen schwenkend. Bloß, das gibt es nicht mehr.

Kürzlich haben deutsche Arbeitgeberverbände gefordert, den Achtstundentag aus dem Arbeitsgesetz zu streichen, weil er angeblich "Flexibilität" mindere. Ohnehin heißt es, die Generation der sogenannten Millenials interessiere sich besonders für die "Work-Life-Balance".

Das ist nichts als eine verlogene Verharmlosung der Tatsache, dass die Jungen verzweifelt auf der Suche nach 9-to-5-Jobs sind. Niemand soll behaupten, er habe die Zeichen nicht erkannt. Die Bilder von Computern, die sich in unsere heiligsten Rückzugsräume vorwagten. Das waren die nuller Jahre: Werbungen von lässigen Laptops auf Bootsstegen, Café-Tischen oder am Strand bei Sonnenuntergang. Riesige Arbeitsspeicher und verlockend tief Preise. Wir selbst haben die 9-to-5-Welt zerstört und sogar noch 999 Euro für das Ende unserer Freizeit bezahlt.

Bald darauf vereinten sich die Laptops mit Telefonen zu Smartphones, die wirklich überallhin mitdurften. Heute wählen wir Provider nach Netzanbindung. Und Tag und Nacht arbeiten Techniker daran, die letzten Funklöcher zu schließen, damit wir mit unseren Smartphones immerzu und allerorts Mails beantworten und Tabs aufklappen können.

Die echten Arbeitsplätze, diese begrenzten Felder des Ackerns, verschwinden überall auf der Welt. Facebook und Google bauen um die Wette Drohnen und Sendeballons, um das Internet bis ins letzte Dschungeldorf zu strahlen. Nicht mal auf der Flucht sind wir mehr unerreichbar. Als die Fluglinien jüngst beschlossen, das Handyverbot an Bord aufzuheben – wieso ging da niemand auf die Straße?
Der pure Luxus

Die Trennung von Arbeit und Freizeit, von Beruf- und Privatleben ist vorbei. Der Kapitalismus kriecht nun in alle Ritzen. Es gibt Studien darüber, wie viele Leute mitten beim Sex kurz ihre Mails checken. Ergebnis: viele.

Du wolltest Unabhängigkeit? Dann renn los! Die ganze Welt ist jetzt dein Office. Rund um die Uhr, als Dauerschicht.

Und 9-to-5-Jobs sind der pure Luxus geworden. Vor der digitalen Revolution konnte man mit schnellen Autos angeben, jetzt dagegen mit den extra langsamen SUVs. Warum? Weil man heute am besten mit freier Zeit prahlen kann. Damit, gemütlich durch die Gegend zu kurven – weil man entweder richtig reich ist. Oder einen 9-to-5-Job besitzt. Der ist inzwischen so selten, dass man für ihn ein anerkennendes Nicken auf Partys bekommt. Ein Prestigegut.

Beweis dafür sind seine vielen Imitate. Man muss sich nur die vielen vermeintlichen Freizeitler anschauen, die die Cafés bevölkern oder durch die Geschäftsstraßen bummeln. In Wahrheit sind sie auf Abruf unterwegs, für einen 20- bis 80-Prozent-Job mit flexiblen Arbeitszeiten. Gelebt wird das folgendermaßen: Entweder wir machen mehrere Teilzeitjobs; wir arbeiten Vollzeit für eine angebliche "Teilzeitstelle" – oder gewitzte Arbeitgeber kumulieren vier Teilzeit-Jobs zu einer Stelle. In Gleitzeit.

Ich kannte den Personalchef eines Konzerns, der hatte 51,5 Prozent – abzuleisten in drei Städten. Smartphone raus, sobald das Ding wieder brummt und piepst, wie ein hungriges, immer gieriger werdendes Monsterküken, das die Hand, die es füttert, irgendwann einfach mitverschluckt.

Nicht die Arbeit geht aus, aber sie verliert ihren Platz. Deshalb füllen sich heutzutage selbst die hässlichsten Bürobrachen mit Ateliers voller Freelancer. Die zahlen sogar dafür, einen Platz zum Arbeiten zu haben. Zahlen obendrauf noch für einen Yogakurs oder ein Essen um sechs, nur damit sie für sich einen Grund haben, ihre Arbeitszeit einzuschränken.
Wir schaffen Arbeit komplett ab

Auch in Deutschlands blühenden Landschaften platzen überall Risse auf, seit die Arbeitswelt so in Bewegung gekommen ist. Von den Tramfahrplänen über die Kindergärten bis zu den Ladenöffnungszeiten, außerhalb der Berlin-Bubble baut alles auf dem 9-to-5-Job auf. Wer keinen hat, steht vor geschlossenen Amtstüren, kriegt keinen Mietvertrag, weiß nicht, wohin mit seinem Kind. Jede alte Arbeitsstruktur scheint in dieser jederzeit umprogrammierbaren Welt ein Hindernis zu sein.

Alles ist im Fluss: So sieht auch der Plan aus für das neue Google-Hauptquartier in Kalifornien. Vier vollständig transparente Bürogebäude aus Fiberglas, in denen die Außen- mit der Innenwelt verschmelzen soll, die Büroflächen perfekt umstrukturierbar und sogar die eigentlichen Gebäude flexibel zueinander verschiebbar sein sollen wie riesige Spielzeuge. Es soll ein perfektes Ambiente sein, um darin "zu leben und zu arbeiten", wie die Planer sagen. Fertig 9-to-5.

Die eine Antwort auf die 9-to-5-Krise ist: Wir schaffen die Arbeit komplett ab. Anstelle von Arbeitsvertrag und definierter Aufgabe schnappen wir uns via Apps Mikrojobs auf Crowdsourcing-Plattformen (so wie Amazons Mechanical Turk das vorschlägt). Statt Lohn am Monatsende käme unser Geld dann von Crowdfunding-Projekten. Vielleicht könnten wir auch bald mit Klicks und Likes zahlen. Die stiere Arbeit im alten Stil wäre passé. Wir könnten den ganzen Tag so tun, als hätten wir frei. Ehrlich: Was klingt geiler – Kickstarter oder Lohntüte?

Meine Antwort ist: Schluss mit Homeoffice, modularen Büros und fließenden Arbeitszeiten! Ich habe diese Freiheit satt. Gebt mir ein Desk und eine Stempelkarte.

Artikel auf ZEIT ONLINE
Josef Mühlbacher (Gast) - 3. Sep, 20:46

Zeit

Zeit, die möcht ich nicht mehr für den Spagat verwenden, etwa einen sozial durchaus nicht hinreichend ausgestatteten Artzt in der Familie, einer manisch berserkerischen Kollegin in den Donauauen, Diversen, die etwa erkannt und dadurch etwaige Nachteile in ihrer Biografie erleiden könnten, einen Hirsch zu verschweigen, der Verschwiegenheitspflicht des Bundes gerecht zu werden, oder sonstwas.
Josef Mühlbacher­

Josef Mühlbacher (Gast) - 17. Sep, 20:48

Zeit

Zeit, die möcht ich nicht mehr für den Spagat verwenden, etwa einen sozial durchaus nicht hinreichend ausgestatteten Artzt in der Familie, einer manisch berserkerischen Kollegin in den Donauauen, Diversen, die etwa erkannt und dadurch etwaige Nachteile in ihrer Biografie erleiden könnten, einen Hirsch zu verschweigen, der Verschwiegenheitspflicht des Bundes gerecht zu werden, oder sonstwas.
Josef Mühlbacher

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